Dienstag, 17. März 2009

School of Seven Bells / 12.3.2009 / Flex - Wien


Tiefverschneite Berghänge, gestiefelte Katzen und ein wahrgewordener Traum

Hollywood

Wie so oft, muss ich auch bei dieser Berichterstattung eine Brücke in die Vergangenheit schlagen, etwas verknüpfen, das ich bis vor wenigen Minuten schon als für immer in den Tiefen meines Gedächtnis verschollen geglaubt hatte. Im aktuellen Fall datiert mit Juli 2005, irgendwo an der
Melrose Avenue/L.A., geschätzten 100°F Umgebungstemperatur und von glühendem Asphalt umzingelt, der den mächtigen Westcoast – Karossen als Spielplatz für diverses Machogehabe dient. Eigentlich ein traumhafter Ort, und trotzdem hatte es einen strangen Beigeschmack, wenn man sich plötzlich in der Stadt befindet, in welcher so viele Geschichten seiner Plattensammlung spielen, man im Sekundentakt an Plätzen und Clubs vorbeikommt, die man aufgrund der Auseinandersetzung mit diversen L.A. Bands einfach kannte oder viel mehr noch, man sich schon tausende Male in Gedanken Under the Bridge befunden, oder in seinen Träumen mehr als One hot minute hier verbracht hatte. Es war ein seltsames Kribbeln in mir, schwer einzuordnen auf der +/- Skala des inneren Befindlichkeitsbarometers und von verarbeiten der ganzen Geschehnisse konnte nicht die Rede sein. Auch deshalb, weil ich mich damals weit von einem, meine Gefühle befriedigenden, Gesamtzustand befand. Ich wurde quasi dazu gezwungen mir Abwechslung in einem der unzähligen Vintage –T-Shirt - Shops, welche entlang der Melrose Ave. wie sich nach der grellen Scheibe am Himmel räkelnde Sonnenblumen auffädelten, zu suchen. Meine Affinität bezüglich dieser Kleidungsstücke konnte ich ja noch nie verleugnen. Dass meine Wahl dann ausgerechnet auf ein eher psychodelisch, und gar nicht meinem Stil entsprechendes Shirt fiel, das verwundert mich jetzt, wo ich wieder darüber nachdenke wann ich es eigentlich zum letzten Mal getragen hatte, mehr als damals. Die Aufschrift und die zerfransten, durch unzählige bunte Striche und Linien dargestellten Shilouetten von drei Personen hatten es mir angetan, erinnerten mich ein Wenig an den Metro-Plan einer Großstadt und bei genauerer Betrachtung verschwamm das Ganze vor meinem Auge als ob ich einen Absinth zu viel erwischt hätte. Außerdem war der Schnitt genial. Es faszinierte mich, obwohl ich mit den abgebildeten Protagonisten einer Band namens The Secret Machines nichts anfangen konnte. Im Gegenteil, ich verwechselte sie sogar mit den Suicide Machines. Naja, sollte so sein, ich habe es aber bis zum heutigen Tage trotzdem nicht geschafft mir eine Platte dieser Gruppe zu Gemüte zu führen. Das einzige was ich mit ihnen assoziiere, ist das meiner Ansicht nach nicht gelungene Artwork von Ten Silver Drops. Sehr komisch das Ganze, gegen meine eigentlich Auffassung was die endlosen Weiten der Musik betrifft, und mit Sicherheit auch das einzige Band-T-Shirt das ich besitze, ohne diese je in irgendeiner erdenklichen Art und Weise supportet zu haben. Ein Wahnsinn und….ich habe gerade ein verdammt schlechtes Gewissen. (vor allem, weil von deren 2004er Debüt-Album in großen Tönen gesprochen wird…)

Proxima Estación: Brooklyn

Jahre später, irgendwann gegen Ende 2008, schnappte ich erstmals ein paar Zeilen über ein Trio aus Brooklyn auf - School Of Seven Bells. Der Name gefiel auf Anhieb und auch die Story dahinter, es handelt sich um eine kolumbianische Ausbildungsstätte für Taschendiebe, machte Lust auf mehr. Die dazugehörige Musik brauchte dann ein paar Durchläufe ehe sich etwas Wunderbares einstellte. Ich konnte nämlich nicht mehr genug davon kriegen, hörte bei jeder Gelegenheit deren Songs, welche mit Namen wie
Connjur oder For Kalaja Mari das ganze Paket perfekt abrundeten, eine textliche Weiterführung, der einem bei diesem, mit Electrobeats durchwobenen, hypnotischen Klangteppich in den Kopf schießenden Gedanken schaffte. Doch der nächste Aha-Effekt ließ nicht lange auf sich warten, handelt es sich bei dieser Gruppe doch um eine ausgesprochen seltene Konstellation. Aus Sicht des Gitarristen Benjamin Curtis wahrscheinlich eher in die Kategorie "In Erfüllung gegangener Musikertraum" einzuordnen. Anders kann man das wohl nicht umschreiben, wenn man plötzlich mit eineiigen Zwillingsschwestern süd-/mittelamerikanischer Herkunft, und dem Wörtchen hübsch unzureichend zu beschreiben, unter ein und dem Selben Dach wohnt um die Sache zu machen, welche einem sein Herz befiehlt. Gemeinsam nämlich das zu erschaffen, wofür der Schmelztiegel namens Brooklyn/N.Y. seit geraumer Zeit bekannt ist – Musik mit Klasse!
Dass dieses arme männliche Wesen dann noch ausgerechnet ein Teil des ehemaligen Brüderprojekts (incl. eines Drummers),
The Secret Machines ist, das verursachte bei mir wieder einmal schwere Verknotungen im von Natur aus schon sehr zerfahrenen Hauptrechner. Und Zufälle gibt es nicht - wie wir ja alle wissen!
Der Projektgedanke entsprang einer im Jahr 2004 stattgefundenen Tour mit
Interpol, an der Curtis´ damalige Band genauso im Vorprogramm aufgeigte wie das Schwesternpaar Alejandra und Claudia Deheza, besser bekannt als On! Air! Library!. Dieses ging allerdings kurz danach Off Air, bis zur Kolloberation sollte allerdings noch eine Menge Wasser den Hudson River hinunterfließen. Ende 2007 stieg dann Benjamin endgültig bei The Secret Machines aus, die Erforschung neuer musikalischer Gefilde konnte beginnen!

Alpen, Rocky Mountains, Anden…egal!

Als dann im November 2008 nicht nur bei uns der Winter ins Land zog, alles in eine graue Suppe hüllte, gelegentlich das weiße Gut mit sich brachte und die Menschen, je nachdem an welchem Ort sie sich befanden, ihrer Gefühlslage meist schlicht und einfach mit Winterdepression betitelten, da waren die
Brooklyner schon seit Monaten eingeschneit – irgendwo im Zentralmassiv einer gewaltigen Gebirgslandschaft, auf sich alleine gestellt und nur mit ihren Träumen als Navigator ausgerüstet. Mehr brauchten sie nicht.
Alpinisms(*) ist ihr Vermächtnis an uns, eine teilweise als Metapher zu verstehende Story von der langen Reise zu sich selbst, welche sich zusammensetzt aus intensiven Gedanken zur Eigenbefindlichkeit, tiefen Emotionen und den unzähligen Geschehnissen, welche den Weg bis dato pflasterten. Immer in Bewegung bleiben, auch wenn sich mal ein, dem ersten Anschein nach, nicht zu bewältigender tiefverschneiter Bergrücken vor einem auftut. Man wird nie erfahren was sich dahinter verbirgt bzw. das Leben noch mit einem vor hat, wenn man ihn nicht hochgeklettert ist. Im Fall von School of Seven Bells, so scheint es, wurden die sich über Jahre angesammelte Erfahrungswerte in einen großen Rucksack gepackt und eine Reise begonnen, auf der man in Folge genau diese, gepaart mit den ständig neu erfahrenen Eindrücken eines Reisenden, in einen songtextlichen Kontext packte. Zum Glück war noch genügend Platz für Instrumente und sonstige Technical Devices, sodass sie im Endeeffekt einen prallgefüllten Backpack zu schleppen hatten, aber immer darauf bedacht, nicht unter der Last zusammenzubrechen. Das wurde sicherlich nicht zum ersten Mal praktiziert, jedoch war dieses Trio diesbezüglich sehr trittfest unterwegs, auch wenn die entlegenen Pfade auf denen sie sich befanden schon lange in keiner Karte mehr aufschienen. Gut, dass es dann noch die Träume gab und viel besser noch, dass diese nicht in Worten zu ihnen kamen, sondern in Bildern, welche sie wunderbar durch ihrer daraus resultierende Musik mit uns zu teilen im Stande sind.

Flexibilisms

Glücklicherweise haben
School of Seven Bells einen langen Atem, der sie über unzählige Pässe endlich auch nach Wien brachte, wo sie im Schutzhaus am Donaukanal eine kurze Verschnaufpause einlegten. Obwohl, als diese konnte das, was uns dort geboten wurde, nicht bezeichnet werden. Vielmehr handelte es sich um einen vertonten Lagebericht, demzufolge alle Beteiligten weiterhin in einer hervorragenden Verfassung zu sein scheinen. Es war eine vorgezogenen „Traumstunde“, Sand in den Augen hatte von den sich reichlich Eingefundenen aber niemand. Alle schienen ausgeschlafen und aufnahmefreudig zu sein, gespannt auf das, was uns in Kürze erwarten sollte.
Die vorherrschende Stille wurde von
afro-roots-artigem Getrommel, gepaart mit einer kurzen Distortion, durchbrochen, ehe die engelhaften Stimmen der Zwillingsschwestern den Anfang eines alle Alpträume zerschmetternden Sets bestritten. Gleich im ersten Song des Abends, Face to Face on High Places, bekamen wir Einblick in die tiefen zermürbenden Gedanken die in jedem von uns stecken, und dem im Chorus vorgetragenen, als Dank und Erkenntnis zu gleich verstehenden Satz - It's safe to say, saving you, saved me.
Herzlich Willkommen zur
Extended Version der in vielen Köpfen herum spukenden Themenwelt der richtigen Wegfindung und der damit verbundenen Einsicht, dass man sich trauen muss weiterzugehen. Das ganze unter dem Deckmantel Dream Pop einer mir bis dato nicht geläufigen Bezeichnung im unendlich großen Genredschungel.
Denn nur wenn man sich in Bewegung setzt macht man auch die „Bekanntschaften“ die einem unweigerlich widerfahren und eine unbezahlbare Hilfe auf einem scheinbar festgefahrenen Weg darstellen. Die Mischung aus sich aufbauenden Chören, gepaart mit dem bis sich in die entlegensten Täler ausbreitenden Sound-Waves die B.C. seinen sechs Saiten entlockte, sowie den unwiderstehlich vorwärtstreibenden, den Körper permanent zum Mitwippen animierenden, Beats und den restlichen Klangerlebnissen eines elektronischen Schlaraffenlandes, verzauberte von der ersten Sekunde an. Benjamin Curtis, der der Schubladisierung eines Shoegazers mehr als gerecht wurde, manövrierte sich mit seinen, scheinbar Michal J.Fox am Set von
Back to the Future II entlehnten Schuhen, hochkonzentriert durch die perfekt ausgetüftelten Soundwelten seiner Effektgeräte, während ihn Alejandra auf ihrer so riesig wirkenden Gitarre unterstützte. Der Sound, wie immer im Flex, ein Ohrenschmaus, die Stimmen glasklar und jeder noch so knifflige Einsatz in die von Claudia abgerufenen Samples saßen so perfekt wie ihr Mittelscheitel. Abseits der Songs gab es nicht viel zu bereden. Was hier fabriziert wurde, benötigte keine Worte mehr, diente, wenn man sich darauf einließ, als Anreiz für eine ausschweifende Exkursion in die unendlichen Weiten unserer Vorstellungskraft. Durch die an der Decke hängende LED-Wall, welche uns permanent an der Entstehung neuer Sterne teilhaben ließ, fühlte sich das ganze auch noch mal um einen Deut realer an, als wenn man in den eigenen vier Wänden, mit Headphones bewaffnet, am Parkett herumliegt, und sich Songs wie Half Asleep in Endlosschleife zu Gemüte führt. Bei Connjur konnte man aufgrund der täuschenden Ähnlichkeit eines nach einem Zugsignal klingenden Intros und des permanenten, an N.I.N. erinnernden Zischens, schon mal glauben, Passagier in einem entführten Zug zu sein. Abspringen unmöglich, dann doch besser zurücklehnen und alles zulassen. Wird schon nicht so schlimm werden.
Es war ein, im wahrsten Sinne des Wortes, traumhafter Abend in einem mir leider von der Gesamtsituation immer unsympathischer werdenden Club. Die leicht technoiden Beats erinnerten mich (und wahrscheinlich nur mich), im Nachhinein gesehen, ein bisschen an
Neulander und vor allem der Song Prince of Peace, ein heißer Anspieltipp für Nichtkenner von Alpinisms, welcher als (logischerweise) einzige Zugabe zum Besten gegeben wurde, rief mir von der Machart massiv U.N.K.L.E. ins Gedächtnis.
Die Band verabschiedete sich flüchtig und, wie ich glaube, Wien in guter Erinnerung behaltend. Auch ich war, weil leider ein kleines Vorurteil in mir tragend, von der Resonanz des Publikums angenehm überrascht.

Nach dem Konzert ist nicht mehr wie vor dem Konzert

Ich muss gestehen, diese Stunde hatte es mir ziemlich angetan, bescherte mir einen Dauergrinser im Gesicht, und ich wäre nicht der Einzige gewesen, der es begrüßt hätte, wenn sie noch eine ganze Weile ihre Schaffenswerke zum Besten gegeben hätten. Angeblich gibt es ja schon wieder genügend Material für eine neue Platte. Auch Freunde, welche das Konzert mehr oder weniger ohne Vorkenntnisse besuchten, waren schwer beeindruckt und fanden keine Worte für dieses Erlebnis.
Somit kann ich an dieser Stelle nur jedem dieses wunderbare und in so vielen Stimmungslagen anzuwendende Werk ans Herz legen. Mittlerweile sind sie schon wieder über mindestens sieben Berge, die Glöckchen in den Taschen verstaut und wahrscheinlich nicht mehr so schnell in Österreich anzutreffen.
Und obwohl ich kein regelmäßiger
Flex – Geher bin, nach monatelanger Österreich-Abstinenz und dem daraus resultierenden erstmaligen Kontakt mit dem doch sehr chilligen neuen Cafe aber seither ein paar nette Stunden dort verbracht hatte, bräuchte man nur mehr diese lächerliche, als Lösung für ein komplett anderes Problem (welchem der Rechtsstaat nicht Herr wird) deklarierte und bis zum Himmel stinkende, schwachsinnige Polizeiliche Sperrstunde auf eine, den üblichen, von Ulaan Baatar bis Montevideo reichenden, Clubstandards anheben.
Aber wie hatte ein von mir sehr geschätzer DJ gestern diese Thematik auf den Punkt gebracht:
Du bist wieder in Wien – Herzlich Willkommen!“
Von dem her werde ich mir die Message von
SVIIB noch mehr zu Herzen nehmen und einfach schleunigst wieder weitergehen...

(*) Als Inspirationsquelle für den Albumtitel diente das Buch
Mount Analogue von Rene Daumal, weil die Thematik des Buchs im Einklang mit dem von Claudia bzw. Alejandra verfassten Lyrics befunden wurde.

Das Album Alpinisms ist im November 2008 auf
Ghostly International erschienen. Das Artwork stammt von Bryan Collins.

Pix by
mck-design und hier zu bewundern.

PAZ!

*thez*

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