Montag, 16. März 2009

Icebend + Support / 27.2.2009 / Sala Zac Club - Barcelona

Ab jetzt werden die Tage gezählt

Eine neue Stadt, neue Leute, eine Sprache die man nur aufgrund von Wörtern oder Phrasen wie Vamos!, Hasta la vista oder Buenas Noches kennt, eine neue Mentalität und irgendwo dazwischen ist man selbst, versucht sich nach Jahren des alltäglichen, immer gleichen Tagesablaufs erstmals ohne Plan und ohne Vorgabe durchs Leben zu schlängeln, sich treiben zu lassen . Ein doch eher seltsames Gefühl. Man kennt niemanden und fängt in gewisser Weise wieder von vorne an, versucht trotz sprachlicher Barrieren Anschluss zu finden, sich einen Freundeskreis aufzubauen und alles ist einfach nur irrsinnig spannend. Manchmal reichen einfach viele kleine Schritte nicht mehr aus bzw. kosten das Dreifache an Kraft. Als dann nach zwei Wochen das erste Mal mein neues, immerhin um zwei Kontakte gewachsenes, Móvil ringt, ich ein bisschen verschreckt reagiere, weil noch nie zuvor den Signalton gehört, und eine Stimme mich fragt ob ich nicht auf ein Cañja mit um die Häuser ziehen will, da war das ein ausgesprochen feines Gefühl. Die Nacht endete dann in einer kleinen, ein alternatives Publikum ansprechenden, Bar Namens Fántástico, irgendwo im Labyrinth des Barri Gótic (und ist somit jedem Besucher der Stadt schwer ans Herz gelegt), an der Bar sitzend und billigen Rotwein statt Bier trinkend. Und wie der Zufall es so haben wollte, stolperte ich der Musik wegen wiedermal in ein sehr intensives, damals noch in Englisch geführtes, Gespräch. Es handelte sich um einen interessanten Charakter, einen Musiker (Gitarrist und Percussionist), offen für neue musikalische Einflüsse und die damit verbundenen Erlebnisgeschichten meinerseits, ein waschechter Katalane und selbst in einer Band spielend. Ich solle mir die mal anhören, eine Mischung aus…hmmm…… puhh, er könne so schwer seine eigene Musik beschreiben. Aber aufgrund meiner erwähnten Gruppen glaube er, dass ich schon Gefallen daran finden könnte. Icebend heiße sie übrigens.
Um ganz ehrlich zu sein - der Name schreckte mich, bei aller gewonnener Sympathie zu diesem Kerl, doch ein wenig ab, wirkte wie ein mit Zwang erfundenes, Hauptsache englisch klingendes Wort für ein Kunstprojekt und ich konnte mir aufgrund dieses eigenartigen Namens einfach überhaupt keine Vorstellungen machen – wie auch, ohne je einen Ton dieser Musik jemals gehört zu haben. Aber oft schießen mir aufgrund Bandnamen schon ein paar utopische Bilder aus meiner bunten tieferen Phantasien in den Vordergrund. Als ich am nächsten Tag auf deren Seite vorbeiklickte, bemerkte, dass es sich eventuell um ein Wortspiel handeln könnte (aus dem ich aber auch nicht schlauer wurde), und dann erstmals die Musik dazu hörte, da hätten sie auch einen in Runen geschriebenen Namen haben können. Ich staunte nicht schlecht, war nahezu baff und sehr positiv gestimmt, was meinen ersten Kontakt mit Einheimischen betraf. Offensichtlich war es ein guter Einstand und alles deutete auf die richtige Direktion hin. (ich sagte ja mal, dass ich ein Phantast bin, der an jedem Glücksmoment aufbaut)
Wie das aber so ist in Zeiten der eigentlich immer leichter werdenden Kontaktpflege und musikalischen Horizonterweiterung – man nimmt es oftmals nicht in Anspruch, obwohl alles den Anschein dieser unglaublichen Leichtigkeit hat. Im selben Moment ist das auch gut so, denn es handelt sich hierbei um den größten „Zeittöter“ überhaupt. Es führt maximal dazu, dass man sich eingestehen muss, schon lange nicht mehr eigenständig zu denken. Das passte mir natürlich überhaupt nicht ins Programm, wollte ich doch genau das wieder reaktivieren und konnte es nicht gebrauchen, wenn einem schon alles auf einem trügerisch glänzendem Tablett präsentiert, und man eigentlich für dumm verkauft wird. Oder interessiert es uns wirklich, ob jemand etwas (meistens Hirnverbranntes und eigentlich nicht weiter Erwähnenswertes) mit „gefällt mir“ kommentiert bzw. gerade „im Stall bei seinen Pferdchen“ ist? (nur um 10 Minuten später schon wieder „kurz im Badezimmer“ zu sein….) Ich habe da ja immer so meine Probleme damit, hatte aber zum Glück genügend Stationen auf meinem mir erstellten Fahrplan anzusteuern, sodass ich anderswertig viel beschäftigt war und somit vieles einfach nicht (in diesem erschreckenden Ausmaß) betrieb bzw. auf diverse Sachen einfach vergaß – so auch auf Icebend.

Kalenderloses agieren…..

Die Wochen und Monate vergingen wie im Flug, die Sprache wuchs genauso rapide wie der Freundeskreis und auf einmal sieht man sich in seiner vorerst letzten Woche in dieser wunderbaren Stadt. Der Kopf gleicht einem riesigen Fragezeichen und man will plötzlich noch so viele Sache erledigen, will Momente mit Personen erleben und genießen, will keine Minute unnötig verstreichen lassen. Dass ich dann plötzlich eine Erinnerung bekomme - von genau dem oben angesprochenen, scheinbar für mich denkenden Medium - welche eine Konzerteinladung von der Band beinhält, die mir mein erstes musikalisches Hochgefühl in dieser Stadt bescherte, da wirkte das alles wie ein logischer Prozess der einfach passieren hatte müssen. Es war mir vom ersten gehörten Ton an ein Anliegen gewesen diese Gruppe einmal live zu sehen, nur hatten tausend einströmende Dinge dieses Verlangen einfach wieder aus meinem Gedächtnis gespült. Jetzt war es endlich so weit, noch dazu in meiner (vorläufig) letzten Nacht.

Der Beginn einer Reise

Das Konzert ging in einer mir unbekannten Location über die Bühne. Dem Zac Club, irgendwo an der Avinguda Diagonal gelegen und unauffindbar für mich und Begleitung. Ein kleiner Club mit jeder Menge Disco-Feeling. Alles war mit den typischen kleinen Glasbruchstücken versehen, es funkelte aus jeder Ecke und nicht erst aufgrund des aus Glasziegeln gebauten Eingangs stellte sich ein Gefühl ein, als ob man über eine Schwelle in die 80iger Jahre trat. Mittendrin eine kleine Bühne, klassisch umgeben von Säulen die ebenfalls einer Discokugel glichen und meines Anscheins nach nicht wirklich für Konzerte geeignet.
Was es hier anfangs allerdings nicht gab – ein Publikum. Einerseits ist das um diese Uhrzeit in Barna ja mehr als normal, für die Vorgruppe natürlich keine Augenweide. Diese waren ebenfalls aus Barcelona, hören auf den Namen Twisted Nails und konnten meine Erwartungen, die ich nach abchecken derer Site und den nicht abstoßend klingenden Songs hatte, leider nicht erfüllen. Zu seicht und aufgesetzt wirkte da Ganze. Die Stimme des Sängers wollte gerne, konnte aber nicht, der Sound war nicht befriedigend und der Schlagzeuger knüppelte ohne richtigen „drive“ sein Set herunter. Einzig der Bassist hatte zusätzlich zu seinem feinen Rickenbacker auch einen Groove und spielte saubere Lines, konnte aber das Gesamtpaket für mich nicht mehr retten. Schade, wie ich auch jetzt noch finde.
Dann wurde heftig umgebaut. Icebend agieren nach dem Motto: „Je mehr Instrumente, desto besser“ – solange auch die Gewissheit da ist, dass diese jemand bedienen kann, ist diese Herangehensweise auch voll zu unterstützen. Im Falle dieser Band trifft das zu. Hier gibt es neben der konventionellen Instrumentierung welche Bass, Schlagzeug und Gitarre(n) beinhaltet auch noch ein KORG –Midi mit Computermikrofon, ein Chime, diverse Caxixis, Maracas, Cabasas, Tambourines, ein Xylophon, Glockenspielchen, Vibra-Bells, eine kleine Darabuka, einen bunten quietschenden Plastikhammer, ein Stückchen Blech das wahlweise verdroschen wird, den guten alten Alukoffer und noch ein paar kleinere Gimmicks. Das ganze kombiniert mit einem Sänger der weiß, wie er seine Stimme einsetzten und nötigenfalls „manipulieren“ muss um ein viele Stile und Gefühle umfassendes Gesamtkunstwerk namens „Icebend“ zu kreieren. Hier wurde ich was die Hörproben betraf (welche mich ja schon sehr in ihren Bann gezogen hatten) live nochmals in eine ganz andere Liga entführt. Der Soundtechniker leistete jetzt ganze Arbeit und erschuf eine bombastisch klingende Geräuschwolke, die mich die nächste Stunde mit auf ihre Reise nahm – irgendwo zwischen Dredg, Across the Delta, einer leichten Brise Pink Floyd sowie Led Zeppelin in deren No Quarter – Phase und trotzdem ist das alles normalerweise nicht mal erwähnenswert. Es klingt einfach authentisch, ein logisches Produkt das aufgrund des perfekten Zusammenspiels von fünf kreativen (und unglaublich sympathischen) Köpfen entsprungen ist. Melodien bekommen durch das gezielte Einsetzten von Lautstärkenabstufungen und der ausgefuchsten Wahl der Gitarreneffekte eine unheimliche Eigendynamik. Die in etwas höheren Tonlagen und ständig zwischen glasklarem Gesang und zürnendem Kreischen agierende Stimme von Sänger Txesk ist der perfekte Feinschliff. Er selbst verkörpert jeden Song, lässt sich darauf ein, ist selbst permanent auf der Reise zwischen den Welten, zwischen dem hier & jetzt und dieser fernen Galaxie die er mit Hilfe seiner Kumpels erschafft. Das mag ein bisschen poetisch und überzogen klingen, aber wie so oft kann ich nur dazu aufrufen sich gescheite Kopfhörer zu schnappen, das Licht runter zu dimmen, den Laustärkenregler kräftig nach oben zu drehen, und sich einmal mehr entführen zu lassen an einen Platz wo Probleme und Sorgen so weit entfernt sind wie Die Comet von ihrer Basis, nachdem Captain Future sie Richtung eines auf seine Hilfe angewiesenen Planeten - irgendwo im unendlich großen Sonnensystem - hinzu steuert. Das Ganze gleicht einer ständigen, nicht enden wollenden Explosion. Der Drummer, Ori, erschafft mit seinem Drumkit und einem unglaublichen Gefühl für komplexe Grooves eine schwer nachvollziehende Prog-Oper. Gratapeus ist der Mann für die Details, spielt Keyboard, singt, bedient eine Unzahl an Percussions, wechselt aber auch in Sekundenschnelle an die Gitarre und verstärkt die von Zaak, auf seiner Godin und technisch hohem Level, gespielten Harmonien. JP am Bass groovt von der ersten Sekunde an mit Fingerspitzengefühl, knickt immer wieder in sich zusammen vor lauter gelebter Emotion und nicht nur ich genieße das alles. Der Raum ist mittlerweile sehr gut besucht, die Stimmung, nicht nur weil der Frontmann bzw. die Band weiß, ihre Message zu transportieren und den Funken überspringen zu lassen, nicht mehr zu vergleichen mit dem distanzierten Herumgestehe der Vorband. Hier sind gerade eine Unmenge an Molekülen drauf und dran heftig Liebe untereinander zu machen, sich aneinander zu reiben, was in der Gesamtbefindlichkeit automatisch dazu führt, dass auch diverse Rezeptoren in unseren Köpfen angezapft und mit Wohlbehagen überschüttet werden. Ja, es ist gerade eine unheimliche Spannung zu verspüren – eine positive. Die Nummern variieren, kommen mal langsam und melancholisch, dann wieder in Begleitung eines heftigen, Minuten lang andauernden und ständig aufs neue ausufernden Jams daher, bei dem sich der Sänger teilweise ganz aufs Geräusche produzieren beschränkt, quasi als Überstimme für den restlichen Noisepegel. Es ist schön, wenn einem ein Konzert so fesselt, dass man eigentlich keine Sekunde die Protagonisten aus den Augen verlieren will, gleichzeitig aber meilenweit entfernt vom Geschehen dahinschwebt. Eine Freundin, generell in anderen Musikgefilden beheimatet und wahrscheinlich das erste Mal seit Jahren auf (so einem) Konzert, meinte danach nur, dass sie gen Ende einfach die Augen nicht mehr aufgemacht habe – nur mehr den Disfrutarmodus auskostete. Ein schönes Erlebnis.
Die Band spielt sich eine knappe Stunde durch ein reiches Reportaire an Songs inklusiver zweier Zugaben und als die letzten Töne verhallten, die Monitorboxen ausgepfiffen hatten, da war es kurz nach Mitternacht. Meine letzten Stunden hatten also gerade einen fulminanten Beginn erlebt. Ich war unglaublich glücklich, aber mehr noch war ich traurig. Jetzt gerade wurde mir bewusst, dass ich noch einige Sache zu erledigen hätte in dieser wunderbaren Stadt. Aber oft braucht man diese auf den ersten Blick so falsch wirkende Entscheidungen um wirklich auch nach vorne zu kommen.

Hyperventilation

Für mich endete die Nacht im La Macarena bei deftigem House, und einigen getanzten Kilometern auf der kleinen aber feinen Tanzfläche. Gleich ums Eck hatte es damals auch seinen Lauf genommen – vor fünf Monaten – an der Bar sitzend, allerdings auf Englisch…….und ich bin schon gespannt wo sich die Geschichte fortsetzt.
Die aktuelle Platte hört auf den Namen Hyperventilation und wurde Ende 2007 fertiggestellt. Für all jene, die den Tonträger nicht käuflich erwerben wollen, bietet die Band (derzeit noch ohne Label) hier den gratis Download des Albums an. Ich muss aber hinzufügen, dass das Artwork und das Sleeve der Platte, mitunter eines der Genialsten ist, dass ich seit langer Zeit gesehen habe. Dementsprechend kann ich den direkten Kontakt mit der Band nur anpreisen. Entsprungen ist die Idee einer, auf Überdimensionalen Tabakkonsum basierenden, Lungenkrankheit des Gitarristen welche fast mit dem Ableben desjenigen seinen tragischen Höhepunkt genommen hätte. Es ist keine, wie auf den ersten Blick erscheinende, im Photoshop kreierte Zeichnung. Vielmehr handelt es sich tatsächlich um analoge Kunst unter zur Hilfenahme von Sanitätsbehelf (Verbandsmaterial) in Kombination mit einer weiteren ausgefeilten Technik. Ein sehr schönes Gesamtkunstwerk, das ich nicht mehr in meiner Sammlung missen möchte.

Anspieltipps der Platte


Am besten mehrmals auf Play und Repeat all schalten. Ansonsten The man who bit me, The Sound, Xuxurlatuz, Find, The Answer, ….
Hoffentlich ergeben sich bald ein paar Möglichkeiten mehr, diese Musik auch live einem breiteren Publikum zu vermitteln. Bereit wären die Burschen auf jeden Fall.

Paz y hasta pronto mi amigos….en vuestra ciudad!!!
*thez*

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