Freitag, 11. Juni 2010

Walter Schreifels und die Sachen mit der Szene


Frühlingsszenarien

Während in anderen Ländern Europas der Frühling schon Vergangenheit ist, oder am anderen Ende der Welt in einem der sieben Laubmeere gebadet wird die der mittlerweile ausklingende Herbst dort erschaffen hat, steht mir hier zu Lande das Wasser bis zum Adamsapfel. Nix wie es sein sollte. Das Wetter größtenteils beschissen, die Aufbruchsstimmung vergangener Tage wäre fast gemeinsam mit den kaiserlichen Gemüsestangerln im Dreck ersoffen, alle meckern herum (inklusive mir), sind gereizt, gestresst und hätte vor kurzem meine lange Unterhose rebelliert, es wäre mittlerweile ein Holzkreuz irgendwo am Areal der Wiener Arena eingeschlagen – „Verzaubert von der unpackbar thighten Leah Shapiro, erfroren in den kalten Hände von Sophie“ würde darauf prangern.
(Das nach eim paar Tagen Sonnenschein nun endlich der Sommer angekommen sein soll, dass kann ich noch gar nicht ganz glauben…)

Nebenbei fühlt sich der temporär eingerissene Arbeitsalltag schneller als erwartet alles andere als gut an, und die Goldbarren, welche die Morgenstund´ einem ja angeblich in den Mund legen sollte, die ruhen offensichtlich weiterhin in der Anekdotenkiste. Dafür kann ich endlich die Unzähligen Scheine die mir so aus dem Hosensack fallen in den Plattenladen tragen, und das ist überhaupt das Beste an so einem saisonalen Job. Tja, zu hedonistisch wird das jetzt aber trotzdem nicht enden.
Die Striche am Kalender werden aber mehr, die Tage weniger und die Vorfreude beiderseits größer.

Der Jungbrunnen

Während man sich also auf der falschen Kalenderseite glaubt, sprudelt wenigstens die niemals versiegende Quelle Musik munter weiter vor sich hin, und spült zum richtigen Zeitpunkt kostbares Gut an die Oberfläche, welches man gerne auch Kübelweise nach Hause schleppt um sich darin zu suhlen, und nicht etwa mit irgendwelchen Barrieren davon abhalten muss wo hin zu gelangen (BP schlachtet sogar DAS noch aus, und segelt seelenruhig unter der Transparenz-Flagge)
Walter Schreifels, Wegbereiter im (Großstadt)Dschungel der Musikgenres, Schlüsselwächter über zirka eine Million verschiedenster Türen, umtriebiger Arbeiter und Weltenbummler, beglückt uns mit seinem lang ersehnten Soloalbum. Passenderweise hat er es, mit einer Mischung aus Hudson River-und Spree-Wasser, An Open Letter To The Scene getauft, und damit jede Menge Platz für Interpretationen geschaffen.
Noch dazu will ihm keiner so richtig abnehmen, dass er erstens mittlerweile 40 Lenze am Buckel hat und zweitens, die Akustikgitarre nicht mehr aus der Hand geben will. Zweiteres stimmt natürlich nur bedingt, lauert doch, nach neunjähriger Pause, endlich, ENDLICH! ein neues Rival Schools Album irgendwo in einem Brownstoner in Williamsburg herum. Und muss dort trotzdem noch bis in den Herbst hinein verharren (wahrscheinlich neben der fix fertigen Moondog Ep, auf die die Welt ebenfalls noch in Form von Plastik wartet).
Bei Releases handelt es sich im Hause Schreifels jedenfalls um offizielle Anlässe, und solche gehören natürlich auch angemessen abgefeiert, am besten mit einer Tour.

Familystyle

Nach zuletzt jahrelangem Herumtingeln mit der Akustikgitarre, das ihn ins Vorstadt in Ottakring genauso führte wie ins Aschewolken-Debakel am Moskauer Flughafen, und einer zwei Jährigen Residenz in Berlin, die schlussendlich im Titel „Dad“ endete, verließ er die Bundeshauptstadt 2009 wieder in Richtung dorthin, wo er Ende der Achtziger Jahre mit der Öffnung des Gorillakäfigs Geschichte weitergeführt bzw. geschrieben hatte. NYC/Brooklyn nämlich.
Und auch anno 2010 kann der Mitbesitzer von Some Records wie eh und je aus einem Repertoire von Musikern schöpfen, das ihm die Möglichkeit bietet sowohl in Asien, Europa oder eben in Amerika auf eine Band zurückgreifen zu können, welche ihm den Liverücken stärkt.
Für die momentane Europatour scharrt er eine, man kann sie ohne Weiteres so bezeichnen, Szene-Allstar-Band um sich.
Akteure, die über die Jahre konsequent ihre Fingerabdrücke in den verschiedensten Ritzen der (musikalischen) Gesellschaftsunterhaltung und der Vertretung von Ideologien hinterlassen haben, finden sich darin wieder. Darunter Wegbegleiter und „best friend“ Arthur Smilios, seines Zeichens Bassist in Gorilla Biscuits bzw. CIV oder eben Drew Thomas, an den Kesseln. Dieser hielt auch schon bei Walking Concert, Walters letztem Bandprojekt, die Taktmaschinerie am Laufen (und davor unter anderem in Bold)
An den Gibson´s tobt sich Dave Hill aus. Ein absolut spaßiger Tausendsassa mit Rampensau-Qualitäten, der offensichtlich alles kann und auch macht (und obwohl es fürs weiterlesen eher kontraproduktiv sein könnte – wühlt euch durch seine Seite, lest seinen (Tour)Blog ,….aber nehmt euch heute nichts mehr vor!!!).
Keyboarder John Herguth war mir bis dato nicht bekannt, fungierte aber in einer Doppelrolle und lieferte gemeinsam mit Garret Klahn (vormals Texas is the Reason) unter dem Namen Atlantic/Pacific einen melancholischen, in Europa allerdings auf ein Duo geschrumpften, Supportact ab, der sich irgendwo zwischen Mac, Synth und Akustikgitarren mit Doppelgesang einnistete. (ganz wunderbar: „Meet Your New Love“)

Society Suckers

Die Szene Wien präsentierte sich mit maximal 50 Interessierten erschreckend leer, allzu große Verwunderung löste das bei mir aber nicht mehr aus. Wir sind halt immer noch im proletarischen Wien, wo gerade andere Szenen boomen. Gut, in manch anderen Städten/Ländern mag es so ein Phänomen auch geben, oder halt überhaupt nicht. Allerdings ist dort der "Rest" mindestens genauso selbstverständlich präsent, und das fühlt sich dann unterm Strich halt einfach gut an.
Massive Bedenken bezüglich der hier zu Lande herrschenden Zustände was die Musikkultur betrifft sind also genehmigt. Da hilft auch ein Popfest nichts, schon gar nicht wenn man es schafft den (seit langer Zeit)miserabelsten Sound hinzubekommen. Irgendwie will´s in Wien meiner Ansicht nach nicht wirklich funken. Ich muss mir bezüglich meiner Raunzerein Einiges anhören, aber es ist nun mal so – woanders zünden solche Sachen, in Wien bedarf es aber z.B. einem (unglaublich desorganisierten und faden) Donaukanaltreiben um wenigstens für einen Tag ein „möchte gern“ Gemeinschaftsgefühl zu erzeugen. In einer Stadt die alles hat, und viel zu wenig daraus macht.

Walter sings along

Den Musiker Schreifels zu beschreiben ist alles andere als leicht. Darum macht er es auf An Open Letter To The Scene auch gleich selbst. Es ist ein sehr intimes Album geworden (bemerkenswert: der dem verstorbenen Warzone Sänger Ray „Raybeez“ Barbieri gewidmete Song „Open Letter“). Seine Stimme mag gewöhnungsdürftig sein, ebenso seine Harmonien. Das kennt man von Quicksand genauso wie von Rival Schools. Bei seinem Soloprojekt bekommt das Ganze aber auch noch die Mellow-Falte reingebügelt. Und die sitzt, auch auf der Bühne (auch wenn es da schon ein bisschen zügiger und lauter zugeht). Unglaublich, welche Bücher dieser Mann füllen könnte, und auch tut. Es wird einem wieder bewusst, was Musik alles beinhaltet, was es einem gibt, warum es Menschen gibt, die so frei sind und ihre Erlebnisse vertonen, uns diese „nach Hause“ liefern. Laut eigener Aussage befindet er sich im permanenten Schreib- und Skizziermodus.

Jeden Song einzeln zu zerlegen und die Welt hinein zu interpretieren das werde ich, wie so oft, wieder jedem ans Herz legen. Das mit dem Vorpraktizieren lasse ich diesmal aber aus.
Nur so viel: Wer Agnostic Front´s "Society Suckers" (vom Album Victim in Pain), einen so stilvollen Anzug schneidert, der muss nicht nur (mittlerweile) Urgestein sein, sondern vor allem auch eines - Liebhaber.
Auch eine zweite Coverversion hat sich aufs Album geschummelt (abgesehen von CIV´s "Don´t Gotta Prove It", das, so wie das ganze Projekt CIV, ebenfalls aus Walters Feder stammt). Allerdings hat man nur auf der (in verschiedenen Farben und Auflagen erhältlichen) Vinyl LP die Möglichkeit, mit „When You Sleep“ von den wunderbaren My Bloody Valentine die letzte Runde anzukratzen.

Und genau so ehrlich wie diese Platte ausrennt, so begegnet einem Walter auch als Mensch. Inklusive persönlicher Anrede und einem Lächeln. Schön, wenn man über Jahre gewachsene Wertschätzung zurückbekommt.

Walter speaks the words

Den Uniformierten Feinden aus Bayern, und deren Affinität Kleinbusse, die auch nur im Geringsten nach tourenden Musikern ausschauen auseinander zu nehmen, ist es wieder einmal zu verdanken, dass genau diese mit erheblicher Verspätung in Wien eintrafen. Gemütliches Soundchecken und stressfreies Interview waren daher gestorben. Das Konzert war natürlich trotzdem ein Feuerwerk, das so ziemlich alle Walter´schen Projekte beinhaltete. Auch das wunderbare „Summertime“ (im Original von George Gershwin) gab´s als Zugabe, und ein Leuchten in den Augen.

Trotz dem schon ewig andauernden Tag und der Unmenge an unnötiger Strapazen, war Walter so frei, und beantwortete mir nach dem Konzert, also um schätzungsweise 1 Uhr morgens, todmüde und hungrig, die eine oder andere Frage. Lassen wir also den Abend mit ein paar klugen Sätzen Revue passieren, und nehmen An Open Letter To The Scene in die Sommerplaylist auf. Also wenn dieser dann endgültig bleiben sollte.

Walter introducing Walter:

20100520 - who is walter schreifels by thez zellerluoid

Walter the foreigner:

20100520 - walter new - discovering a new scene by thez zellerluoid

About the differences between Berlin & New York City:

20100520 - differences berlin and new york by thez zellerluoid

About the topic of right wing scenes in Europe vs. USA:

20100520 - right wing scenes view by thez zellerluoid

About "An Open Letter To The Scene":

20100520 - about the album and scenes by thez zellerluoid

About the secret of the cover artwork:

20100520 - about the cover by thez zellerluoid

About upcoming projects:

20100520 - about a new album by thez zellerluoid

Why "Summertime" isn`t on the album and the best sweets ever:

20100520 - about summertime and sweets by thez zellerluoid

Mittwoch, 24. März 2010

Die Sterne und deren neue alte Discogalaxie


24 Stunden mit Die Sterne, oder warum manche Tage nie enden sollten. Ein Blick hinter den Vorhang, der jetzt noch eine Spur mehr schimmert, als er es eh schon immer tat.

Zackig oder rund? - Sicher aber klebrig, vermutlich!

So viele Zacken die Sterne auch am Papier haben mögen, aus der Ferne betrachtet sind sie rund. Klein, aber rund. In Echt. Was fällt uns noch so ein? Sie sind gelb, oder weiß, oder eine Mischung aus Beidem, ein irres Licht halt, das es eigentlich schon seit Jahrtausenden nicht mehr gibt, weil sie ja, dingelingeling, schon verglüht sind. Trotzdem funkeln sie, und sind uns Orientierungshilfen durch die Nacht. Sie begleiten uns ein ganzes Leben lang, auch wenn wir nicht wissen wo hier ist. Wir bewundern sie und finden das Gehabe auch irgendwie romantisch, es wird gerne unter ihnen geschmust, und wenn nicht, dann starrt man halt einfach in das schwarze Nichts und sagt vertraute Sachen vor sich hin, während einem die Melodie d´amour den Kopf wäscht. Wenn sie dann vom Himmel fallen macht es sogar den Anschein, als ob ihnen das Weltall zu klein geworden wäre. Wir nutzen diese Gelegenheiten und wünschen uns ganz schnell den sehnlichsten Wunsch, der sowieso nie in Erfüllung gehen wird. Und alles nur, weil wir an Theorien glauben, die uns nicht mal unsere Oma abkaufen würde.
Die Politik und die Medien nutzen dies ebenfalls aus, sehr effizient sogar. Sie suggerieren uns den größten Schwachsinn. Die Regisseure sind sogleich auch die Statisten, in deren eigenem Film und Drehbuch. Leider auch mit dem Vorauswissen, dass dieser noch so scheiße sein kann, ihn das Publikum aber trotzdem zu einem Blockbuster hieven, ihn mit heftigem Applaus feiern wird. So kommt es dann, dass uns braungebrannte Stehenbleiber vor die Nase gesetzt werden die ihren (Lebens)Sternchen immer noch lauthals vor Mikrofonen nachtrauern, oder noch schlimmer, sich eine zugenagelte Realitätsverweigerin im Glanz ihres Mutterkreuzes in der Sonne suhlt, sich gerne das Krönchen aufsetzten würde. Man kann sich echt nicht oft genug fragen, was diejenigen den bitte so ruiniert hat. Zucker? Sicher nicht!
Es ändert sich seit Jahren schon nichts, und trotzdem ist nichts wie wir´s kennen. Irgendwann wird alles nur mehr in Trrrmmer liegen. Verstehen kann man so manches nicht, hinnehmen schon gar nicht, und überstehen ist wieder etwas ganz was anderes.
Man müsste sich öfters „Leck mich!“ denken und sich in einer für sich angemessenen Weise von dem Ganzen Echtheitskabarett rund um einen abschotten – aber dann wären wir ja auch nur Fraß, anständige Kopfnicker und subversiv wäre, richtig, ein Fremdwort. Diesem alles verschlingendem Monstrum würde es natürlich schmecken.
Wenn da wirklich der Glaube entsteht, dass deren Pläne steh´n, dann sollten die mal meine sehen. Es ist aber leider kein Novum, dass man unglaublichen Mut für die normalste Sache der Welt aufbringen muss, nämlich das zu machen, was einen erfüllt, außer man will als Universal Tellerwäscher enden. Eben. Drum sollte auf keinen Fall auch noch die innere Kaltfront genährt werden, denn sonst wird uns das System weiterficken - anstatt wir es.

Willkommen im Convenience - Shop

Was hat das jetzt alles mit Frank Spilker, Thomas Wenzel und Christoph Leich zu tun? Eine ganze Menge. In gewisser Weise eigentlich alles.
Die Sterne haben uns ein Geschenk gemacht, und obwohl sie seit neuestem nur mehr zu Dritt glitzern, tun sie das in einer Intensität, die man die letzten Jahre ein wenig vermisst hatte. Weil sie zu matt geworden waren, sie nicht mehr ausreichend reflektierten, obwohl sie hochqualitative Arbeit ablieferten. Bands, denen jedoch etwas an ihrem Dasein liegt, die checken das, und steuern contra. Ein in der Gesellschaft oft vermisstes Verhaltensmuster. Dass sie jetzt wieder so hoch stehen, ist das Ergebnis einer intensiven, dreijährigen Arbeit, und passierte nicht einfach so plötzlich. Man musste erst wieder ein paar Sachen einrenken, musste Luft zwischen sich lassen und ein paar Themen abarbeiten. Es war sicherlich der logischste Schritt weg von der üblichen Routine. Dazu bedarf es Mut, aber in Wirklichkeit gibt es nicht viele andere Wege zu beschreiten. Ein Riss ist da quasi vorprogrammiert, und trägt auch immer gleich etwas Schmerzhaftes mit sich - schon im Wortlaut. Wenn dann aber Mathias „Munk“ Modica (Gomma Records) diesen zu kitten weiß, ihn wieder glättet, auch noch aufpoliert, wohl dosierte Beats und ein paar blinkende bunte Lichter rundherum baut, dem Ganzen aber immer noch seine seit vielen Jahren aufgebaute authentische Erscheinungsform belässt, dann ist halt einmal nichts mehr wie man es eh schon kannte.
Gerüchte oder sogar Feststellungen, dass Die Sterne jetzt aber plötzlich zur Discokirche konvertiert wären sind natürlich ein Blödsinn sondergleichen. Wer will heutzutage schon noch mit etwas zu tun haben in dem das Wort Kirche steckt. Der Papst vielleicht? Der schafft aktuell eher gerade seiner heißen Luft auch noch eine besiegelte Schriftform zu geben, und scharrt weiterhin eine Menge Arschlöcher um sich?
Außerdem haben Die Sterne seit eh und je eine Menge Groove, Funk und Soul in ihrer Umlaufbahn. Die Popularität zog sich aber meist einen dicken Pullunder drüber oder stylte sich mit einer Tolle. Und das war auch gut so. Und ist es noch immer. Aber anders.
Jetzt ist es halt endgültig raus, auch für diejenigen, die das bis dato nicht so gesehen haben wollen - unter dem Namen (Neo)Disco halt. Ein paar Puristen des Diskurspop oder der Hamburger Schule - Bewegung zu Rote Flora Zeiten werden sich schon wieder finden, und das gar nicht soooo passend finden.
Man kann wirklich sagen, dass Die Sterne jetzt auch die andere Tageshälfte erobert haben. Ob das die Tag-oder Nachtseite ist, das muss jeder einzelne für sich herausfinden.
Mit 24/7 haben wir es aber endlich schriftlich, oder eben geritzt. Sie machen es den entfernten Himmelskörpern gleich und sind, in gewisser Weise, ab sofort rund um die Uhr für uns da. So wie wir halt unser Leben auch darauf umgestellt haben immer abrufbar zu sein. Anfangs ganz schleichend, mittlerweile schwer offensichtlich. Permanente Erreichbarkeit – Usus. Ein Tag ohne Internet oder Statusmeldungen – muss wohl ein schlechter sein.
Die Spirale dreht sich immer schneller, uns wird immer schwindliger und die Sterne die wir sehen, haben da eher negativen Beigeschmack.

Wohin zur Hölle mit den Depressionen?

Frank Spilker hat da den Dreh schon lange raus. Er packt sie in Lyrics. Diesmal glänzt er darin aber auf schon lange nicht mehr dagewesenem Niveau. Seine sozial-und gesellschaftskritische Sicht der Dinge war immer schon sehr zu unterschreiben, hatte immer schon eine sehr anstoßende Wirkung, diesmal kommen aber, für mich, noch zwei wesentliche Faktoren hinzu. Zum Einen sicherlich der, mit dem Alter kommende aber auch von andere Sachen abhängige, Blickwinkel auf die Welt in der wir leben, zum Anderen, dass er, wie er selbst bestätigt, durch den ins Sterneuniversum aufgenommene Echoeffekt eine neue Herangehensweise finden musste seine Beobachtungen zu vertonen. Langsam ist das neue Schnell quasi. Man muss ja erst einmal das Echo abwarten, bevor man schon den nächsten Satz hinterher haut. Das führt dazu, dass 24/7 rund um die Uhr von repetitiven, fast Mantras gleichenden, Vocallines lebt und uns in Endlosschleife z.B. „Ich weiß nicht mehr, was wirklich hilft“ oder „Ich mache nicht mit!“ um die Ohren haut. Nach diesem Prinzip haben Die Sterne immer wieder schon mal aufgekocht, nur diesmal servieren sie es uns auf Albumlänge und mit feinster Garnierung. Das schmeckt hervorragend, und selbst mit vollem Magen fühl man sich nicht schlaff oder dem Einschlafen nahe. Vielmehr ist man hellwach und voller Tatendrang. Wohin also in diesem Zustand?

In die Disco?

… oder doch eher auf den Boden der Realität?
Früher gab es sie in jedem Kaff, die Dorfdisco, und alle sind sie auch brav hin gepilgert, an jenem Ort, wo man dem ganzen Alltag den Mittelfinger zeigen konnte, alles hinter sich ließ, wo Entspannung herrschte und Kräfte gesammelt wurde für z.B. eine neue Arbeitswoche, eine Woche, wo man im besten Fall an einer Vision, einem Ziel arbeitete.
Die Sterne bitten uns allerdings auf den Dancefloor anno 2010. Dieser glänzt zwar immer noch so makellos wie ein frischgeputzter Spiegel, nur reinschauen und sich auch wühlfühlen dabei, das wird immer schwieriger. Viel mehr bekommen wir ein Menschenbild vom ausgelaugten Dasein präsentiert. Vom verdienten Fallenlassenkönnen und Genießen im Schein der Discokugel sind wir weit entfernt, weil der Kopf sich permanent in Sorgen verheddert die bösen Schlingpflanzen gleichen. Die Dorfdisco ist also Geschichte, die Unbekümmertheit genauso. Nichtangebrachtes Sicherheitsdenken und ein brachliegendes Sein, wo von einer Fata Morgana zur nächsten gerobbt wird dafür aber sehr präsent. Die positive Grundspannung lässt nach, vermehrt werden die viel zu einfachen Wege gewählt, die Latte des sich etwas Zutrauens wird drastisch nach unten gehängt, weil das sich selbstverkaufen, sich in die Reihe stellen, sich verleugnen, immer weniger Kraftaufwand kostet. Dafür scheint dann halt am Wochenende im Club Couture die Sonne, zumindest partiell. Die Untertanen – Mentalität fängt halt schon bei einem selbst an, und schraubt sich bis in ungeahnte Höhen.

Gib mir die Kraft Baby

Wenn die Platte dann einmal an Schwung angenommen hat, man immer weiter hinein rutscht in den Krieg gegen den Kapitalismus, gegen die Bösewichte, der Puls nach oben schnellt und man nicht nur gegen das System, sondern auch sich selbst gegenüber Aggressionen schürt, genau dann reicht uns 24/7 die rettende Hand, lässt Frank Spilker ein Stoßgebet von den Lippen, das passender nicht platziert sein könnte. „...wir müssen uns schon etwas trauen…“ heißt es da, und es wird ausnahmsweise sogar die Gitarre zur Hilfe genommen um uns mit aller Kraft dieses Manifest in den Kopf zu meißeln. Denn auch wenn es erscheint als ob alle Türen zu seien, man ansteht, sich nichts mehr tut, keine Bewegung herrscht - Schritte der Veränderung können wir (schon) noch selbst einleiten. Es ist nicht so schwer die Klinke nach unten zu drücken und sich einen neuen Raum aufzuhauen in dem wieder jede Menge Neues, Interessantes, und daraus resultierend auch Motivation wartet. Klar, es ist sicherlich schwieriger als wie gehabt auf die Playtaste zu drücken um die Jammerkassette abzuspulen. Spilker bringt das aber auf den Punkt, bietet Lösungsvorschläge an, und hängt noch ein „Ich zähle nur auf, was mir so einfällt“ dran. Der Weg zur Revolution ist breit genug für alle, und fängt bei jedem einzelnen von uns an. Daher, wechseln wir den Schritt, machen wir nicht mehr mit, bei diesem Theater in endlosen Akten.

Der Himmel…

Einige Wege führen bekanntlich ja auch…..in den Himmel, dem wohl letzten Platz, der ohne Passwort betreten werden kann. Also nehmen wir halt einmal an, dass Petrus auch von einer Arbeitslosenwelle mitgerissen wurde und die Tür offen ließ…
Genau dieser Himmel kann uns aber auf den Kopf fallen, was sein Recht ist, wenn ihm schon das Blau gestohlen wurde, welches uns bei jeder Gelegenheit versprochen wird. Wir stehen jetzt natürlich mit dem Rücken zu Wand wenn dieser Forderungen stellt, haben Erklärungsbedarf, wissen nichts von dieser Abmachung und haben noch dazu nichts als leere Hände vorzuweisen. Aber wie viele Himmel gibt es denn eigentlich? Die Sterne nehmen es gleich mit 44 verschiedenen auf. Vom Elektrohimmel bis zum Esoterikhimmel. Und haben für alle die gleiche Message parat: „Ihr könnt uns mal!!!“ – allerdings nur auf der Vinylversion oder auf der Limited Edition Cd. Eine der beiden sollte man sich aber auf jeden Fall zulegen.

Da wären wir auch schon bei der innovativen Vertriebsidee der Sterne. In Zeiten wie Diesen, wo alles stockt, nur lustigerweise der Vinylabsatz wieder nach oben schnellt, haben auch die Hamburger auf den Zahn der Zeit gehauen.
So wurde zum Beispiel schon letztes Jahr, dem Label Gomma sei Dank, mit Der Riss EP ein sehr cluborientierter Vorbote in die Plattenläden postiert, auf welcher sich mit „Nach Fest kommt Lose“, „Neblige Lichter“ und „Deine Pläne“ gleich drei Feger befinden. Dem nicht genug, wurde auch noch an die Dj´s gedacht, und eine Dubversion (also rein instrumental) dieser EP nachgeschossen, direkt in die Clublandschaft. Diese allerdings NUR als Download. Die drei EP Tracks ersparte man sich dann logischerweise gleich auf der Vinylversion des Albums, dafür wurde „Himmel“ drauf gepackt. Eigentlich ein Wahnsinn, aber auch eine Möglichkeit sich ein Doppel-Vinyl-Album zu ersparen, und somit dem Konsumenten preismäßig entgegen zu kommen. Den Downloadcode für alle Songreleases rund um 24/7 gibt’s nämlich beim Kauf des Albums auf 12“ sowieso dazu. Sowas ist ja fast schon obligatorisch, gut und richtig.
Bei der Limited Edition Cd verhält sich das noch einmal ein bisschen anders. Erstens wurde die Reihenfolge der Songs im Gegensatz zu Vinylversion geändert, somit finden sich die EP Songs gut verteilt, was wiederum dem Durchlauf der Platte gut tut. Und damit sich nach so viel Einsichten und treibender Musik die Situation wieder beruhigt, hat man mit „Ein Glück“ eine typische Die Sterne Nummer im Stile von „Wenn dir St.Pauli auf den Geist geht“ drauf geschummelt. Spätestens dann, gibt man dem Himmel sein Blau wieder zurück, weil man die Rosanaivitätswunschvorstellungsbrille aus dem Handschuhfach kramt.

Posen

Mit diesem Gestell im Gesicht lässt es sich dann natürlich leicht posen. Oder kaschieren. Vielleicht wird man aber auch nur von Momenten eingeholt, die mit der Gegenwart nur eins gemeinsam haben, nämlich Die Sterne.
Aber wie sollen sich Augenblicke, in denen man bewegungslos wie eine Wolke in einem pastellfarbenem Bild, umrandet von Jasmin Wagner Stickern, unter einem Dachschrägenfenster in einem Bett liegend, von sich im diffusen Licht zeigenden Staubvorhänge eingesperrt und auf die nächste C+E Führerscheinstunde wartend, denn auf die Seite drängen lassen. Noch dazu wenn man sich doch so cool und frei gefühlt hat. Damals.
Vielleicht ist es aber auch ganz wichtig kurz in diesen Erinnerungen zu schwelgen, damit man sich ein bisschen von der Leichtigkeit und Unbekümmertheit von vor zehn Jahren wieder abspeichert. Eben im Hier und Jetzt. Es ist ja alles immer gleich um schätzungsweise eine Galaxie leichter, wenn man schon mal weiß, wie sich manche Gefühlszustände anfühlen müssen, denen man auf den Schlichen ist!
Auch Die Sterne mussten lange herum probieren um erst wieder dort zu landen, wo sie sich eigentlich schon immer am wohlsten fühlten. Am Dancefloor! Und deswegen werden sie für mich immer die Punks sein, allerdings die der Boheme - 24 Stunden am Tag, sieben Tage die Woche.

24/7 ist auf dem bandeigenen Label Materie Records erschienen
Pic: copyright Die Sterne
Quelle: www.diesterne.de

Übrigens: Am 21.April 2010 kann man in der Sternwarte des Wiener WUK Sterne schauen gehen. Ein Happening für die ganze Familie! Weitersagen!!