Montag, 16. März 2009

Amanda Fucking Palmer / 13.2.2009 / Apolo - Barcelona


Vom Regen auf die Beerdigung...

El Viaje....

…Bus Nummer 27, Sitzplatznummer 50, viertvorletzte Reihe, gangseitig…….und du heißt wie?...ah, Gloria. Encantado.
Wir befinden uns irgendwo in Madrid, genauergesagt am Busbahnhof bei Avenida de América, es ist 18:30 und im Gegensatz zu den letzten Sitznachbarn ist diese junge Dame aus Nigeria eine sehr gesprächige und interessante Person. Das vermittelte mir mein erster Eindruck, und wurde in den darauffolgenden acht Stunden durch die Nacht zigmal bestätig.
Es ist die letzte Busfahrt nach knapp drei Wochen auf der Piste, und wär da nicht dieses Ticket, ich wäre noch eine ganze Weile unterwegs gewesen. Garantiert. Kurz hat sich auch der Gedanke des Verfallenlassens in meine Tagtraumwelt geschmuggelt, wurde aber im Endeffekt genauso auf der Strecke gelassen wie das unnötige nasse Gewand, das einfach nicht mehr trocken werden wollte, sich daher nur unnötig aufs Gesamtgewicht, somit wiederum auf die Schulter geschlagen hatte. Man muss Sachen, die man wirklich gerne hat mit anderen teilen, erst dann werden sie einem unvergesslich in Erinnerung bleiben ….so ist das, und gar nicht schwer!
Als ich dann so gegen 2:30 vom Busbahnhof-BCN-Nord durch Born Richtung Wohnung gehe, der Wind meine Zigarette raucht, ich beim Paki am Eck noch einen 5 Liter Ballon Wasser kaufe und eigentlich gar nicht weiß wie mir geschieht, fang ich an zu realisieren, dass das wohl das Ende einer unikaten Reise war. Zu perfekt hatte alles zusammengespielt, zu passend war der Zeitpunkt und das innerliche, spontane, schwer zu beschreibende Gefühl, zu groß das Glück der gefundenen Schlafplätze. Von den interessanten neuen Leuten, von denen sich ein paar nach kürzester Zeit (mit Recht)wie Seelenverwandte anfühlten, wie fehlende Teile eines von mir angefertigten Mosaiks-das eigentlich einem Selbstbildnis gleicht, ganz zu schweigen. Das Wetter wollen wir in diesem Zusammenhang nicht näher unter die Lupe nehmen, aber auch sehr intensiver, langandauernder Regen hat was Magisches. Und nur wegen einem Konzert, einer guten Stunde Musik hab ich das jetzt abrupt beendet? Aber was sollte ich den jetzt noch machen? Bewaffnet mit trockenen Utensilien in den nächstbesten Bus steigen und wieder abzurauschen, das würde nichts bringen. Zu sehr bin ich ein Opfer meiner „Gefühlswelt“, zu groß war die Freude, als ich auf der Künstlerhomepage die Konzertankündigung für Barcelona gelesen hatte. Nein, es war die richtige Entscheidung. Danke fürs Vorbeischaun Amanda.

Spansicher Feminismus

Zwei Tage Später, immer noch im totalen Chaos, ohne Plan, mit einem Kopf voller noch nicht verarbeiteter Impressionen und einem Tag/Nacht –Rhythmus der dem einer Fledermaus gleichzusetzen ist, wandere ich einmal mehr die Carrer Nou de la Rambla hinauf, Richtung Apolo. Vorbei an hunderten Menschen die meilenweit davon entfernt sind zu wissen, was in ihrer Nachbarschaft, irgendwo hinter so einer alten Fassade, heute für ein Puppentheater aufgeführt wird. Ich mag solche Gedankenspielerein, das ist nichts Neues, und trotzdem ist es manchmal eine Angewohnheit die ich gern abschalten würde. Zu oft bleibt mein Blick an Dingen hängen die in meiner unmittelbaren Nähe passieren, außer mir aber scheinbar niemand wahrzunehmen vermag, sodass ich mit dem Verarbeiten/Merken nicht immer ganz auf Augenhöhe bin – im Gegenteil, es verursacht immer ein Schlamassel da oben. Und andauernd eine Notiz auf einen der vielen Papierreste die sich in jeglicher meiner Kleidungsstücke befinden zu machen, das will ich nicht. Genau so ergeht es mir aber auch immer bei Konzerten, und das stellt sich in der Folge meist als ein Schuss ins eigene Knie heraus. Drum schreib ich eigentlich auch schon wieder viel zu spät diese Zeilen, aber als ich vorhin nach einem wunderbaren Abend mit tollem Gedankenaustausch (Jemand vom Fach) in meine vier Wände gestolpert bin, da ist auf einmal ein Film voller Details und offenbar doch abgespeicherter Beobachtungen vor mir abgelaufen, sodass ich es als ein Zeichen gedeutet habe meine Finger doch auf die Tastatur legen zu müssen. Und wenn´s nur eine Person liest und gedanklich an diesem Abend teilnimmt, dann hab ich schon gewonnen.
Gegen meine Erwartungen (siehe die vorigen Konzert-Blogs) haben eine Menge Leute dieses Konzert vernommen. Gut, man kann Mrs. Palmer auch nicht wie eine der üblichen Musikschaffenden abspeisen, als jemanden der halt genauso auf Tour geht, und zufällig in deiner Stadt vorbeischaut. Das Ganze ist eine viel komplexere Sache die auch abseits des Tourlebens tagtäglich gefüttert und dank Internet an die breite Masse gebracht wird. Und wenn man beispielsweise ihren BLOG verfolgt dann kann´s schon mal passieren, dass man glaubt, man gehe zum Konzert der besten Freundin - zu intim ist das alles, zu brachial und detailiert die Tagesabläufe dokumentiert, informativ, ein breites Spektrum an Alltäglichem und der Auseinandersetzung mit genau diesem umfassend. Diese Frau präsentiert sich anders als viele ihrer Kollegen in diesem Business, Sie setzt noch intensiver auf den direkten Kontakt mit ihrer Fanbase und das zeichnet Sie, ihre Show, das Davor und das Danach aus. Es herrscht eine Vertrauensbasis, klingt schräg, fühlt sich aber so an. Durch diese ihre Art und Weise, durch ihre Texte und ihr provokantes, zum Markenzeichen gewordenes, Auftreten spricht Sie nämlich beide Geschlechter an – und zwar in allen Bereichen. Das Konzert findet leider nicht im größeren, edleren der beiden Säle, sonder im eher unpassenden „Sala 2“, welchen man sich als billigen, kleiner geratenen Abklatsch einer ((Szene)) - Wien vorstellen kann, statt. Ein stilloser, Metalgitter verhangener Raum mit null Atmosphäre, einer langen Bar und einem kleinen Bier um 4 Euro. Der Sound ist jedoch ein guter, oder zumindest der Soundtechniker. Mein erster Blick wandert, wie meistens, in die Kreativecke der Band – dem Merchandise. Und siehe da, mein Herz beginnt höher zu schlagen, denn auch wenn ich am totalen finanziellen Zahnfleisch dahergekrochen kommen würde, einer limitierten Pressung von Tourpostern erliege ich immer, auch weil sie in fast allen Fällen eine feine, auf die jeweilige Stadt zugeschnittene Message tragen. Im speziellen Fall gibt’s sogar noch die Möglichkeit zwischen drei verschiedenfärbigen Siebdrucken zu wählen. Meiner Ansicht nach das effektivste und herrlichste Erinnerungsstück an ein Konzert und auch Jahre danach kann ich zu jedem der in meinem Besitz befindlichen Pressungen den jeweiligen Gig inklusive Dialog beim Erstehen des Teils abrufen. Ja, so ist das, und ……..es sind viele!!!!
Das Publikum deckt eine große (Strumpf)Bandbreite an Altersklassen ab, Dresden Dolls T-Shirts mischen sich mit muffigen Lederjackets inklusive großflächigen Led Zeppelin Aufnähern, Frisuren die einem gefühlsmäßig in einen Berliner Punkschuppen irgendwo in Friedrichshain oder Kreuzberg versetzen, kilometerlange Laufmaschen in zerschlissensten Strumpfhosen aller Farben und Mustern, dazu ein paar Gesichter mit abrasierten Augenbrauen und aufgepinselten Ornamenten über´n Auge. Da stehen die den modernen Feminismus verkörpernden Mitte 20iger graziös rauchend neben deren bis zur Unkenntlichkeit „mascarierten“ Mütter, und die Boys, so scheint es, haben die Liebe fürs Leben schon längst in der kessen Dame aus Boston gefunden. Mir gefällt das ganze und spät aber doch kommt diese innerliche Überfreude hoch.

Die Auferstehung

Dann wird das Licht runtergefahren, ein leichtes Gedränge stellt sich ein und ich habe, trotz nahe am Bühnenrand befindlich aber aufgrund meiner bescheidenen Größe, wieder einmal Schwierigkeiten einen guten Blick zu erhaschen. Stattdessen aber wie so oft eine „Monster“ von Mensch als lebende Mauer vor mir. Doch im Normalfall erledigen sich so Dinge innerhalb der nächsten Minuten, dann nämlich, wenn die anfängliche Euphorie der Anwesenden ein bisschen nachgelassen hat, alles eine gewisse Routine bekommt – so auch diesmal. Auf der Bühne erscheint eine Gestalt, es ist Steven, ein etwas bummeliger, kahlgeschorener und geschminkter Typ und eines der Mitglieder des derzeit mit Amanda Palmer tourende Danger Ensembles aus Brisbane/AUS. Ich kannte dieses Gesicht von diversen Fotos und auch ganz ohne seine Stimme je gehört zu haben, sah ich in ihm von Anfang an ein Double Antony Hagerty´s. Jetzt, wo er uns in seinem eher aufgesetzt klingendem „angeschwulten“ (bitte auf keinen Fall in auch nur irgendeiner Weise als negative Bemerkung bewerten –war die einfachste und meine Ansicht nach verständlichste Beschreibung), aber sehr authentisch wirkendem, Englisch die Geschichte vom tragischen Tod Amanda Fucking Palmer´s zu erzählen beginnt, uns um Verständnis bittet, dass das Konzert leider anders ablaufen werde als geplant und ein paar Krokodiltränen seine Wangen entlang kullern (wie übrigens noch einige Male in den kommenden eineinhalb Stunden), da könnte er tatsächlich das „Original“ sein. Unglaublich.
Im Hintergrund zieht ein Violinist sanft seinen Bogen über die Saiten und erzeugt ganz leise zutiefst traurige Melodien. Eine sehr melancholische Stimmung stellt sich ein, und es ist wirklich zum Heulen, hach. Immer wieder eine Augenweide, wenn Artisten einem mit deren Leistung schon in den ersten Minuten total überzeugen können. Und genau diesen Moment vermochten sie zu kreieren, denn die ganze Crowd war scheinbar mit den Gedanken fernab des Geschehens und so war nicht nur ich überrascht, als mit lautem Intro vier weitere, sehr extravagant gekleidet und geschminkte Gestalten im wahrsten Sinne über die Bühne schwebten (ja, die hatten das richtig gut drauf) und aus der ersten Reihe eine in weißen Schleier gehüllte, in sich zusammengekauerte Frau empor hoben, rückwärts übers legendäre Kurtweill Keybord hievten und die Trauerfeier zu Auferstehung wurde. In Slowmotion noch das Gesicht freigelegt und dann plötzlich erwacht die Puppe zum Leben, fängt an wie wild in die Tasten zu hauen und ich bin einfach nur baff. Sie beginnt das Konzert mit Astronaut, auch der Opener des aktuellen Albums. Sie geht energisch zu Sache, lässt nichts anbrennen, massakriert das Klavier mit Kung-Fu-artigen Tastenhieben und die Lyrics werden vornehmlich schreiend vorgetragen. Ist ja sicherlich nicht einfach so kurz nach der Wiedergeburt was von sich zu geben, wird aber in einer hinreißenden Manier fabriziert, und weil ihr das offensichtlich auch noch riesigen Spaß macht, werden nach dem most sexiest gehauchten buenas noches nur einmal fleißig die Fingern, begleitet von einem lauten Krachen, gen Mikro expandiert, ein kurzes Lächeln aufgesetzt, ein Scherz mit dem so schüchtern wirkenden aber sein Instrument mit so einer Perfektion und Hingabe bedienendem Geiger gemacht, und die die Hände wieder auf Schwarz und Weiß gesetzt. Die Setlist ist bunt gemischt und auch das Danger Ensemble ist fleißig am choreografieren, bringt eine Menge Farbe in die Nummern und auch die Inhalte einmal mehr, einmal weniger zum Ausdruck. So wird z.B.: bei der Dresden Dolls Nummer Coin operated boy mit plakativen Aufforderungen für Küsse auf Bezahlung durchs Publikum marschiert, und auch beim Rihanna – Cover von Umbrella wird heftig mit Regenschirmen und Wasser hantiert. Sehr gelungen wie ich finde, auch wenn Amanda bei diesem Song gänzlich auf Gesang verzichtet, und auch die Ukulele nur zwecks Attrappe vor sich her schwingt. Generell handelt es sich aber um eine sehr begabte Performance – Gruppe, bei der Körperkontakt auf und vor der Bühne einen wesentlichen Part in der Show einnehmen. Für mich sind sie der perfekt Ersatz für das im Liveset nicht zum Einsatz kommende Schlagzeug und die restliche Orchestrierung, die ja kein unwesentlicher Bestandteil von Who Killed Amanda Palmer? sind. Auch My favourite things, generell ein sehr beliebter Coversong, im Original aber bereits Ende der 50íger einem Musical/Film entsprungen, findet den Weg in die spanischen Gehörgänge. Als das derzeit aufgrund der Thematik des Songs in die Medien (@England) geratene Oasis an der Reihe war, konnte Sie es sich natürlich nicht nehmen lassen, die Briten ein wenig zu beflecken. Witziger Nebeneffekt, der das ganze noch um einen Deut brisanter machte: Zur selben Zeit spielten Oasis eine Show, irgendwo in Barcelona. Da durfte natürlich ein herzliches Dankeschön für die Wahl des (natürlich richtigeren) Konzertes nicht fehlen. Es ist ihr erstes Soloalbum, dementsprechend werden auch fast alle Songs vorgetragen. Zwischendurch immer wieder netter Smalltalk mit dem Publikum, kurze Spanish-Lessons als sich ein paar aus den hinteren Reihen das Wort guapa einfach nicht länger zurückhalten konnten und immer wieder huschen Tora und Co., stets neu geschminkt und in neuem Outfit durch die Menge, umarmen hochdramatisch alles und jeden, bauen Menschenpyramiden in der Mitte des Saales, schneiden Grimassen um einen Bruchteil von Sekunde später wieder wie versteinert zu wirken. Bei Strength through music, einem Song, der von Amanda im Zuge eines der vielen Attentate an Amerikas Schulen geschrieben wurde, und den sie auch einem diesbezüglichen Vorfall in Spanien widmete, wurde vom Violinisten eine Liste mit Namen und Todesursache der Teenager (z.b. Name XY: dead through shot in the head,…) verlesen, was für totale Stille und bei vielen sicherlich den zu erzielen wollenden Effekt auslöste. Die Zeit verging wie im Flug, eben weil immer etwas passierte, man dank der Liveperfomance immer zur Aufmerksamkeit gezwungen wurde. Bevor die Gruppe aber endgültig die Bühne verließ, wurde noch einmal mit einer Kollektion an verschiedensten Stiefeln durch die Menge geschlendert um ein wenig Trinkgeld zu kassieren. Was sich vielleicht ein bisschen zwiespältig lesen mag wurde damit begründet, dass das Danger Ensemble unentgeltlicher Tourbegleiter ist, also nur Kost und Lounge sowie Transport zur Verfügung gestellt bekommt. Eine nie zuvor gesehen Aktion, die scheinbar aber alle beteiligten zufriedenstellt, was ich wiederum als ein Zeichen von totalem Wohlfühlen und kompletter Harmonie innerhalb dieses Tour Tross (check out youtoube: Amanda Palmer All Access Tour)vernehme, denn als nichts anderes hat sich das Ganze heute (und davor schon im Blog)für mich präsentiert.

Otra

Zugabe gibt’s natürlich auch, Creep (Radiohead) nämlich, vorgetragen auf der Ukulele, unplugged, und auf der Bar herumspringend. Irgendwann verschwand Amanda dann aber singend Richtung Backstage - um sich offensichtlich einen Stift zu holen und den niemals enden wollenden Autogramm-Marathon zu beginnen. Dann noch brav alle auf die DresdenDolls/Amanda Palmer Maillist die Adresse hinkritzeln…und schön langsam wurde es mir dann doch zu viel.

Saludos a Barcelona

Es war ein lustiger Abend, und meine kurz vorhandenen Gedanken dieses Konzert nicht zu besuchen sind für mich heute genauso unverständlich wie der Rest an wirrem Zeugs, das mir vor nicht all zu langer Zeit durch den Kopf geschossen ist. Aber ist das nicht alles Teil eines riesen Prozesses der sich schlicht und einfach Leben nennt???
Das Album Who Killed Amanda Palmer? ist im September 2008 erschienen und wurde von Ben Folds produziert (der unter anderem auch die Drums beisteuerte!)……..mehr dazu hier.

paz!
*thez*

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