Montag, 16. März 2009

Gustav & Friends / 3.5. 2008 / Rhiz - Wien


Unverhofft kommt oft…oder…auch nur der leiseste Ansatz eines Planes kann manchmal Grund genug sein, sich auf etwas so dermaßen zu versteifen, dass es einem schlussendlich an der Freude oder der Motivation fehlt es auch durchzuziehen.
So geschehen am vergangenem Samstag.

Ruine Jugendzimmer

Seit geraumer Zeit herrscht bei mir nämlich Chaos. Kiloweise PVC am Boden, auf den Turntables, überall wächst Papierkram und gelbe oder rosa Post-it´s vollgekritzelt mit offensichtlich wichtigen Sachen, deren Wiedererkennungsfaktor allerdings gen Null zielt, verzetteln sich zur feinsten Unordnung die meinereiner seit langer Zeit im Stande war zu kreieren. Nebenbei noch unzählige Magazine die nur darauf warten endlich auch mal aufgeschlagen zu werden um ein bisschen Licht in die ganze Sache zu bringen, ganz zu schweigen von der räumlich sehr zentral entstandenen Großstadt – erbaut aus Silberlingen.
Allerdings wird das alles nur geringfügig überblickbarer, wenn man sich, obwohl erst ein paar Stunden unter den Lebend verweilend, ins Auto setzt und Richtung Norden fährt, daher, bei aller Liebe und gesprochener Huldigungen in den letzten Wochen. Heute kein Fischerspooner, somit kein Donaufestival, somit auch keine weitere Nacht zusammengekauert im Bus. Punkt.
Nach unzähligen produktiven Stunden drängte sich dann aber trotzdem die Frage auf, wo man diesen wunderbaren Samstag ausklingen lassen könnte….
Also schnell alle relevante Locations abgecheckt - aber null Output. Wäre da nicht dieses, bei der Säuberungsaktion zum Vorschein getretene, Stück Papier gewesen:
10 Jahre rhiz!!! - 3.5. Gustav!!!!

Oh, ein Plan

Zack!, da läuteten plötzlich die Alarmglocken. Warum genau, das konnte ich zu diesem Zeitpunkt allerdings noch nicht so richtig begreifen. Am musikalischen Schaffen von Gustav konnte es, in meinem Fall, nicht liegen, war mir doch nur die Nummer über die Wichtigkeit des Fortbestandes der größten Säugetiere der Welt bekannt, die allerdings gefiel schon immer!
Klarerweise hatte ich natürlich die Info bezüglich ihres neuen Albums vernommen.
Trotzdem war das ganze eher basierend aufgrund des Eindrucks den Eva Jantschitsch aka Gustav, bei ihrem Gastspiel von The Ghosts And The Band ebenfalls im Rhiz – allerdings schon vor geraumer Zeit – in meinem Gedächtnis hinterlassen hatte!
45 Minuten später und einer massiven Horizonterweiterung in punkto Ottakringer- Gass´l -Werk reicher, konnte ich endlich mein Geld loswerden und mir ein hochverdientes Strongbow genehmigen.

Gürtel ohne Schnalle

Es war schon überraschend voll, allerdings war der zweite Bogen – der Bereich in dem sich die Bühne befindet – noch nicht zugänglich.
Die Tür schien aber nur mehr deswegen geschlossen zu sein, um diesen typischen Moment, nämlich etwas kurz darauf für offiziell eröffnet zu erklären, und somit dieses neugierige in den Raum Treten und sich kurz fühlen als wäre das Christkind gerade eben erst mit der ganzen Belegschaft durch die Hintertür (über´n Gürtel) abgerauscht, aufleben zu lassen. Sehr zu meiner Freude.
Blöderweise hatte einer der Helferleins offensichtlich seine Turntables (mit Hintergrund Musik lasst´s sich leichter werkeln…) vergessen, was das kongeniale DJ Duo Drehli Robnik (der Harn im Korb) und Peter Hoermanseder (Maschek-Mitglied , The Man With The Ten Years After - und einem „n“;-)) schamlos ausnützten.
Da wurde eine von feinster und extravagantester Musik umrandete Stand-up-Comedy abgezogen, die ich so noch nie erlebt hatte – es aber für eine geniale Idee halte. Denn, und welcher Konzertgeher kennt das nicht, es gibt nichts Schlimmeres, als wenn man vor einem Gig unnötig lange auf die Folter gespannt wird, blöd herumsteht und den für den ganzen Abend eingeplanten Finanzhaushalt schon vorher an der Bar liegen lässt.
Nachdem die Menge im ausverkauften rhiz dann mit Nummern von Shellac über Hot Chip bis hin zu Tocotronic´s Für immer jung in Stimmung gebracht wurden, der Großteil aufgrund des vorherrschenden Kabaretts einen Grinser im Gesicht nicht mehr verleugnen konnten und die Temperatur im Raum der 30° C Zone drastisch nahe kam, war es an der Zeit, dass jetzt schön langsam mal etwas passierte.

Alles Gute

Was auf diesen Denkansatz folgte war ein Happy Birthday – vorgetragen von Gustav, zugunsten des 10 jährigen Bestehens des Lokals - und gleichzeitig der Beginn eines wunderbaren Konzertes, das mich die nächsten Minuten voll in Anspruch nehmen sollte.
Die Nummer ist übrigens vom aktuellen, zweiten Album Verlass die Stadt, und eine textlich wunderbar ausgefeilte Hommage an ein besseres Leben, dass jeder von uns aber selbst in die Hand zu nehmen hat. Immer. Denn ohne Ziel, ohne etwas bewegt zu haben, wird man auch keine Ergebnisse aufwarten können, sondern eher schnell in einen Zustand von totaler Lethargie auf allen Ebenen geraten. Und geschenkt wird einem halt nix. Das Leben ist kein Wunschkonzert, soviel steht fest, egal welche Nationalität, egal welchem Genre man entspringt, egal ob vormals Bob oder einfach nur Hassan. Solange es aber so begabte TexterInnen wie Eva Jantschitsch gibt, solange werden auch Menschen aufgefordert sein, sich ein bisschen mehr mit sich und der Welt auseinanderzusetzten…und hoffentlich auch Ergebnisse dabei erzielen….denn lacht nicht, ihr werdet alle sterben….na dann – auf geht’s!!
Gustav live beschränkte sich diesmal allerdings nicht auf eine One-Women-Laptop-Show, sondern agierte als perfekt eingespielte Band, bestehend aus Elise Mori an den Keyboards und Oliver Stotz an der Gitarre. Zweiter ist auch in der schon oben erwähnten Formation The Ghosts And The Band im Einsatz…ebenfalls schwer empfehlenswert und im Zuge des Festivitäten – Monats hier zu begutachten.
Des Weiteren komplettierte ein Flügelhornspieler das Quartett, dessen Name mir entfallen ist – man möge mir verzeihen,....
……dass ich schon wieder nicht bei der Sache, nämlich dem Konzert, bleiben kann.
Dieses ging mit einer bestens gelaunten Band weiter. Es folgten Nummern die auf Namen wie Total Quality Women oder Neulich im Kanal hörten. Erstere, in englischer Sprache vorgetragen, versetzte mich kurz in das Hill Valley der 50íger Jahre – besser gesagt in die Straßenszene, in der The Chordettes - Mr. Sandman im Hintergrund läuft. Generell gilt bei Gustav aber: Je mehr desto besser. So kommt es, dass durchgehend irgendwo ein Zischen, Knarzen, (Wasch)Rumpeln, Klappern und Klirren zu vernehmen ist, aus irgendwelchen Ecken einem flächige Arrangements entgegenfliegen, die, ehe man sich zu „ducken“ vermag, durch ein mit Beats hinterlegtes Blubbern abgefangen und in ein IDM-haftes, verspieltes, verhalltes, elektrodynamisches, nach seeeehr vielen intensiven Arbeitsstunden klingendes, komplexes Gesamtkunstwerk abgerundet werden.
Die Anfangssekunden von Neulich im Kanal zum Beispiel, könnten genauso von Burial stammen und uns einen astreinen Dubstep-Track bescheren. Kaum hat man sich allerdings an diesen Gedanken gewöhnt, da kommt auch schon Eva´s nach kindlicher Unbekümmertheit, und in diesem Zusammenhang schwer nach Judith Holofernes, klingende Stimme und das Xylophon, welches perfekt abgestimmt auf die textlichen Passagen die Nummer in einen stampfenden Track verklimpert - begleitet von dramatisch klingenden Posaunen und psychodelischen Key´s. Es herrscht ein regelrechtes Hecheln nach vorne und fast um auf Nummer sicher zu gehen, auch wirklich das Ziel zu erreichen, bekommt man, mittlerweile bei Puls 180 angelangt, auch noch eine Triangel als zusätzlichen Pusher mit auf den Weg geschickt…..die letzte Runde ist also eingeläutet und kurz darauf überrennt man, nach einer weiteren wunderbaren Melodiefolge, urplötzlich den auf glühenden Asphalt gezogenen Zielstrich - mit neuer Fabelzeit!!
Als die Nummer Ifall, bei deren Titel man sich noch nicht einig ist, ob dieser eher Englisch oder doch eher Steirisch klingen soll, angespielt wird, ist man schon der Hauptdarsteller in einer Tatort-Folge und ein düsterer Krimisoundtrack mit D´n`B Anleihen bis hin zum verschnittenen Amen-Break helfen uns maßgeblich dabei. Ebenfalls nicht in Deutscher Sprache vorgetragen, mit verhallten Streichern und industriell anmutend – und mit ein bisschen Fantasie und Paranoia könnte es sich bei einem in die Nummer eingebauten Sample auch um die Tatwaffe handeln. Ein perfekter Track, geschaffen für extreme Lautstärke und Autoraserei durch nächtliche Waldstücke - Suchtpotential und schlaflose Nächte garantiert.
Das Publikum, übrigens bunt gemischt, war schon lange addicted, und wenn wirklich einmal eine Pause länger als vorhergesehen dauerte war Hr. Robnik der Erste der, auf ´ner Bank hinterm Dj-Set stehend, seine Begeisterung kund tat. Von hinten noch gelegentlich Elise-Rufe , jede Menge Applaus und alle waren glücklich und eingeschworen. Unabhängig davon, dass 20 Meter weiter ein ganzer Haufen Autos stressig durch die Wiener Nacht bretterten - in manchen davon sicherlich Menschen, mit genau dem Ziel vor Augen, das uns Gustav in der nächsten Nummer, welche gleichzeitig der Namensgeber des neuen Albums ist – Verlass die Stadt – zu vermitteln versucht.
Eine wunderschön verspielter, dahinplätschernde Downtempo-Track, deren transportierte Message und Textur die von Menschenhand erschaffenen sozialen Brennpunkte in den Paris Banlieues behandelt, uns im gleichen Atemzug aber auch auffordert gegen dieses komplexe Wirrwarr indem wir uns mehr oder weniger mittlerweile alle befinden und teilweise gefangen sind, anzukämpfen. Die Stadt als Metapher für das System, dass allerdings erst durch uns ins Leben gerufen wurde und jetzt genau von diesem immer mehr Besitz zu ergreifen vermag….
Nachdem dann der Laptop eine geplante (Cover)Nummer nicht wiedergeben will, wird kurzfristig ein Rage Against The Machine- Song (Sleep now in the fire) zum Besten gegeben - quasi als kurze Auflockerung zwischendurch.
Vom neuen Album gab´s aber noch genug, dass an die Ohren der Öffentlichkeit gelangen sollte. So zum Beispiel Soldat_in oder Veteran, welche mich vom Stil her sofort an eine Die Sterne Nummer erinnerte. Generell schafft Gustav nämlich gerade das, was mir letztmalig im Zuge meiner Hamburger-Schule-Jahre so intensiv widerfahren war: Sich in den Texten wiederzufinden und diese mit unvorstellbarer Leichtigkeit und scheinbar ohne Lernaufwand im Nu für ewige Zeiten im Langzeitgedächtnis abzuspeichern. Von dieser Schaltzentrale aus wird seither die bereits angelaufene Operation - Bessere Welt massiv unterstützt. Das diese Nummer den wahrscheinlich längsten Text auf der Platte benötigt ist anhand des Themas auch nicht verwunderlich – genau so wenig wie der hysterische Gefühlsausbruch bei Schizopunk. Und obwohl einem bei der Livedarbietung dieses Manifests von einem Song eh schon der Mund offen stehen bleibt, eine Steigerung nicht mehr für möglich erscheint, so folgten trotzdem noch zwei weitere Stücke auf der Setlist. Ersteres, Abgesang, übrigens Opener des Tonträgers, welches gleich das Hauptthema aufzugreifen scheint – und zwar aus der Sichtweise der resignierenden Masse, die jetzt doch eher beschließt sich anzupassen, für sich selbst den geringsten Weg des Widerstandes zu gehen, und einfach mal abzuwarten und Bier zu trinken. Da hilft offensichtlich auch nicht der smoothe Rumbastyle incl. Leierkastenfeeling - dafür gibt’s am Schluss die unschuldigen Vöglein zu hören.

Aus der Stadt - in dei Natur - in die neue Freiheit

So kommt zum Abschluss noch Alles renkt sich wieder ein, womöglich auch um die im Laufe der Nacht auf Hochtouren gefahrene Gedankenmaschinerie ein wenig abzukühlen und eine kurz bevorstehende Überhitzung vorzubeugen. Anstelle der Trachtenkapelle Dürnstein beschallte hier ein einsames, aber effektives Flügelhorn den Raum und gab dem Song die nötige Fülle die auf Platte durchs Blasorchester gigantisch eingefangen wurde.
Die Band hat bis zu diesem Zeitpunkt wirklich ganze Arbeit geleistet. Ohne Zugabe kommen sie diesem intimen Rahmen allerdings nicht davon – wollen sie auch gar nicht. Dass dann ausgerechnet bei Rettet die Wale die Rauchpause zu kurz kommt, das Keyboard den Einsatz verpasst - und somit nochmal von vorn´ losgestartet werden muss - verhilft allerdings dazu, die Band im Kollektiv mit dem Publikum nochmals in einen herzhaften Lacher verfallen zu lassen.
Aufgrund des nicht enden wollenden Applauses und nach kurzer interner Beratung, entschließt sich Gustav dann dazu, noch einmal Neulich im Kanal zu spielen - dann war´s das aber wirklich.
Ein zum Heulen schöner Abschluss einer wunderbaren samstäglichen-Spontan-Konzert-Nacht, obwohl diese gerade erst angefangen hat…..

Ver-rhiz´t und zugenäht

Hach - wie gut, dass es Gustav gibt…….und Vodka in großen Gläsern….
Dieses musikalisch und textlich perfekt durchdachte Meisterwerk sollte in keiner Tonträgersammlung fehlen, nicht bei Peter oder Boris, nicht bei Ahmet oder Todd, nicht bei Roli oder Pepi, schon gar nicht bei Alfred oder Wilhelm, nicht bei Mum und nicht bei Dad …………

Photo: copyright Gustav/Thomas Degen

thez/9.5.2008

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