Freitag, 5. Juni 2009

Primaverasound Festival - Barcelona / Dia 1


Drei Tage, Fünf Bühnen, ein Unplugged Zelt, 145 Acts, das angenehmste Publikum seit ich Festivals besuche, um einen herum das Mittelmeer und ein Nachtbus ins Bett. Wenn das der Frühling war, wie fühlt sich dann der Sommer an?

Angekommen

Oft hatte ich dieses Gefühl in dieser Art und Weise noch nicht verspürt. Wahrscheinlich sogar noch nie. Obwohl ich die letzten drei Monate genauso zu den Wichtigsten zählen würde, die mir bis jetzt widerfahren waren. Kommt man dann aber wieder in einer (immer noch mehr oder weniger) fremden Stadt an, mit einer anderen Sprache und einer anderen Mentalität, dann geht es Schlag auf Schlag. Weil nämlich auch da Leute auf einen warten, weil man Monate lang schon eine Wegstecke gemeinsam zurückgelegt hatte, weil man plötzlich nicht mehr der Fremde ist, der von einem Tag auf den anderen da gestrandet war. Man ist mehr. Ein Zahnrad von vielen, die es möglich machen, dass die Maschine vielleicht einen Takt runder rennt als normal. Und das Schönste – es beruht auf Gegenseitigkeit. Emotionale Wellen hauen einen um und drücken dich unter die Oberfläche. Da kann schon die eine oder andere Träne zusätzlich zu soviel Wasser vergossen werden, weil es egal ist – und oben drein noch das Ehrlichste auf der Welt. Andere Länder, andere Sitten, das hab ich schon mal geschrieben, und glücklich bin ich, dass ich das in dieser Art und Weise erleben, spüren darf.

Das mich Wien gar nicht loslassen wollte, dafür mach ich schlussendlich mein schlaues Büchlein verantwortlich. Aber was da drin steht, das pickt – blöd nur, wenn´s trotzdem falsch ist. Also bleibt´s erst wieder an mir hängen. Aber Dummheiten werden bestraft, und drum bin ich mit ein paar Hunderter weniger im Geldsack und einer kleinen Sightseeingtour übers Gelände des Züricher Flughafens reicher, letztendlich erst am Dienstag ein weiteres Mal in Barcelona gestrandet.
Dass die ganze Stadt im Fußballfieber lag, das konnte man spätestens in der Ankunftshalle vernehmen. Als ich dann am Mittwoch auch noch Zeitzeuge eines bis dato niemals zuvor geschafften Triples wurde, das hat auch mich als nicht bekennender Fußballfanatiker ziemlich gepackt.
Aber solche Einstige in eine neue Etappe, die sind wichtig, weil man im Vorbeigehen bestätigt bekommt, dass es der richtige Schritt war, weil sowas halt nicht passieren würde in meinem Leben in der Heimat.
Und kaum hatte ich mich wieder erholt von dem ganzen Spektakel, da stand auch schon das Nächste vor der Tür. Das Primverasound eben.
Aber jetzt ist das auch vorbei und somit die Phase des Ankommens abgeschlossen. Produktivität steht jetzt wieder im Vordergrund und das Ziel, sich wiedermal ein Stück besser kennenzulernen, eine neue Seite seines Gesichts zu entdecken und zu schauen, wo es einen hin verschlägt.
Apropos Gesichter: Von denen hatte das Primaverasound Festival übrigens jede Menge.

Das organisierte Gesicht

Ich ging es relaxt an, enterte das Festivalgelände erst gegen 22 Uhr. Fast schon Luxus, wenn man mit der Linea L4 gerade mal 20 Minuten vom Abendessen in der eigenen Küche zum Parc del Forum braucht. Aber irgendwie auch passend zur derzeitigen Sicht auf die Dinge.
Punkto Organisation hatte ich, was spanische Festivals betrifft, nur positives in Erinnerung. Auch hier schien alles bis ins Detail geplant. Und auch wenn das im Endeffekt für ein Mehr an Vereinfachung stehen sollte, so bringt es doch immer noch jede Menge zusätzliche organisatorische Arbeit mit sich. Anzusehen war es den Ausführende aber nicht. Gleich von Anbeginn weg wurde man mit positiven Vibes überrumpelt.
Ganz ohne Verantwortung wurde man dann aber doch nicht in den Festivalreigen entlassen. Zusätzlich zum mittlerweile ja Standard gewordenen Armband gab´s hier auch noch eine mit einem Strichcode versehene Plastikkarte, einer Bankomatkarte gleich. Nur in Kombination dieser Beiden konnte man das Festivalgelände passieren. Man hatte also eine Sache mehr, die man verlieren oder zu Hause vergessen konnte. Und obwohl es natürlich zur lückenloseren Kontrolle beim Eingang diente, so wurde uns doch irgendwie durch die Blume gesagt– „Genießt es in vollen Zügen und mit allen Vorteilen, die wir euch hier anbieten, aber bleibt am Boden der Realität“ Zumindest hab ich das als solches vernommen – und brav wie ich bin, auch befolgt.
Erst mal drinnen, war ich ziemlich perplex. Schaute der Parc del Forum in meinem Gedächtnis bis dato wie eine verlassene Mondbasis aus, so schienen plötzlich wieder alle Einwohner zurückgekehrt zu sein. Nicht wieder zu erkennen war das Ganze, und ich brauchte echt eine Weile, bis ich mich orientiert hatte. Für diejenigen, die den Parc del Forum noch nie zuvor gesehen hatten war das wahrscheinlich einfacher. Man brauchte ja nur in den Festival – Mood umzuschalten und den Schildern folgen.
Fünf Bühnen wurden auf dem Gelände platziert, jeweils auf unterschiedlichen Niveaus und daher jedes Mal mit einem anderen Spirit. So fand man sich einmal auf der konventionellen Betonfläche vor der Hauptbühne, auf der einem Amphitheater gelichenden Steintribüne mit Blick aufs Meer, unter Dach, oder parallel zum Wasser, mit Fußweg durch einen Schilfgürtel und Blick auf die mit einer Million oranger Lichter verzierte Küstenseite der Stadt. Das alles macht aber eben solche Aktivitäten erst recht zu einem Platz des Wohlfühlens, und das ist etwas, was mir immer wichtiger wird.

Das neue, alte Gesicht

Zu den Klängen von Yo La Tengo eröffnete ich dann meinen ersten Frühling/Sommer im Ausland, also ziemlich spät eigentlich. Aber ich konnte und wollte mich dann doch nicht früher aus einer gemütlichen Runde entfernen.
Am Festival fiel dann erstmalig die Sprachbarriere weg, was mir eine komplett neue Art der Wahrnehmung offenbarte und mir aufs Neue zeigt, dass es ja gar nicht so ist, wie viele glauben. Nämlich dass ich die letzten Monate nichts aus dem Kraut gebracht hatte, mir nichts aneignete. Ist halt eine andere Ebene auf der das basiert – die des menschlich wachsen wollens.
Nach den doch eher turbulenten 48 Stunden davor, hatte ich mir für Donnerstag ein nicht so dichtes Programm zusammengestellt. Gehöre ich im Normalfall aber schon zu dem Typus Besucher, der so ein Happening nutzt, um möglichst viele neue Acts zu sehen. Die Recherche davor zeichnete mir aber schon ein Bild, in welche Richtung dieser erste Tag des Primaverasound gehen sollte. In die der Shoegazer, der Psychodelischen & Wüstenssand aufwirbelnden Rockbands und in die eher verwaschene, abstrakte Richtung der Musikauffassung. In die Richtige also.
Mein unbestrittenes Highlight war an diesem Abend allerdings das wahrscheinlich popigste und mit am meisten Vorfreude erwartete Konzert zugleich. Jenes, des aus Versailles stammenden Kollektivs Phoenix nämlich. Deren neue Platte Wolfgang Amadeus Phoenix sorgte bei mir ja schon im Vorfeld für ein Frühlingsgefühl der Sonderklasse. Ich hatte die Burschen vor Jahren, damals noch zufällig, am Southside Festival gesehen und bin seither ein Fan der Franzosen. Auch die Bühne schien wie perfekt gewesen zu sein. Direkt am Meer positioniert, davor ein prallgefüllter Kessel mit Menschen und ein Oval an Sitzplätzen, dahinter eine Segelyacht die easy vor sich her schaukelte. Aufgrund der eher „kleineren“ Bühnen und dem im, Verhältnis zu den Besuchern gesehen, begrenzten Platz davor, spielte am Primavera jede Band im Prinzip vor vollem Haus, was auch aus Sicht der Artisten ein unbeschreibliches Gefühl sein musste. Anerkennung und Wertschätzung der eigenen Darbietung, egal ob man auf den Namen Sonic Youth oder „nur“ Lemonade hört. Phoenix konnte man getrost in die Kategorie der auch in Spanien eine große Fanbase Vorzuweisenden einordnen. Und weil der Timetable des Festivals genauso (bis auf ein paar Kleinigkeiten) perfekt durchdacht war wie der Rest, so war es einem locker möglich sich jede Menge Acts bis zur Schlussnummer anzuschauen, danach noch ein kleines Getränkelos aus den dafür vorgesehenen Automaten auszudrucken, dieses einzulösen und trotzdem ganz vorne zu stehen. Easy going, den ganzen Festivalbesuch lang.
Das einzige, das darunter litt, war die Länge der jeweiligen Slots. Ich würde sie im Durchschnitt mit einer halben Stunde bemessen. Ausnahme waren hier natürlich die Mainacts.

Das französische Gesicht

Auch Phoenix hatten das Privileg länger zu spielen, lieferten uns ein, schätzungsweise zwölf Nummern andauerndes, Hitfeuerwerk ab. Sie warfen gleich zu Beginn eine kunterbunte Bombe auf uns nieder, nach welcher eine „Lisztomania“ ausbrach, jeder am liebsten sofort einen „Long Distance Call“ in die Heimat machen wollte, nur um sich dann wieder in der Zeile „What you say, what you say is way to complicated“ aus „1901“ wiederzufinden. So wie auch auf deren neuer Platte, und ein bisschen zu meiner Verwunderung, platzierten sie „Love like a Sunset“ in ihrem Set in der Mitte. Am Album schon eine Nummer, die den Franzosen eine Herzensangelegenheit zu sein schien, wurde sie auch live in herausragender Manier und in einem wunderbaren instrumentalen Spannungsbogen dargeboten, und am Ende von Thomas Mars schlicht mit nur einer Zeile besungen und gleichzeitig beendet. „Love like a Sunset“ eben. Ein wunderbarer Moment.
Danach noch die ultralange, abgeänderte Version von „If I feel better“ , logischerweise „Run, Run, Run“, „Lasso“, „Fences“ und ein strahlender Repertoire-Mix aus Altem und Neuem. Als Schlussnummer wurde dann (wenn ich mich nicht täusche) „Everything is everything“ gesetzt und ausgeschlachtet bis der Drummer schlussendlich seine Sticks senkrecht in die Snare rammte – als demonstratives Zeichen, dass sie zwar gerne noch eine Stunde spielen würden, aber das ginge ja jetzt nicht mehr so leicht. Ich war danach mindestens genauso beeindruckt wie die Band selbst.

Das psychodelische Gesicht

Die wahren Neuentdeckungen dieses Donnerstags waren meinerseits aber Dead Meadow aus L.A.und Wooden Shjips aus San Francisco. Beides Bands, die das Wort Rock aufs Minimum reduzierten, aber trotzdem mächtig Dampf dahinter packten. Schwer psychodelisch, meist ein stupides, minutenlange nach vorne stolperndes 4/4 Schlagzeug beinhaltend, wo nach schätzungsweise jedem 15 Takt ein Beckenschlag gesetzt wurde. Dazu wenig bis gar kein Gesang. Dead Meadow waren aber noch die melodischeren, mit einer Brise Blues angehauchten, der Beiden. Wiedererkannt hätte ich sie aber aufgrund der Vorab – Listeningsession auch nicht mehr. Wenn dann doch eine lyrische Message vorgetragen wurde, dann sehr unverständlich, was leider des Öfteren auf den eher schwachen Sound zurückzuführen war, in zumindest einem der beiden Fälle aber auf den Zustand der Personen hinterm Mikro. Wer braucht schon singen, wenn man doch auch die in der Mitte der Bühne in Stellung gebrachte Whiskyflasche leeren, und einen Schachtel Zigaretten rauchen kann. Wunderbar. Einfach Augen zu und durch.
Nach soviel Staub in der Lunge brauchte ich aber dringend ein Bier, blöd nur, dass ich zufälligerweise bei der Hauptbühne vorbeikam, wo My Bloody Valentine gerade das Schlussdrittel ihres Konzertes einläuteten. Genauer konnte ich das nicht eingrenzen, da, als ich mich einfand, bereits der Start der wohl heftigsten Shoegazer Rakete schon vollzogen wurde. Dieses, niemals zuvor in so einer Art und Weise vernommene, Soundgewächs, das kurz davor stand, die Anlage in Tausend Stücke zu zerfetzen, war so kaputt, dass es mich schon wieder beeindruckte. In Cape Caneveral mag es wohl komplett ident klingen, nur befindet man sich in sicherer Distanz zum Objekt und das ganze Spektakel ist in wenigen Minuten beendet. Die Urgesteine des Shoegazing wissen aber natürlich, wie man einen Mund schätzungsweise 20 Minuten daran hindert, sich wieder zu schließen. Unglaublich, und so laut, wie ich „Musik“ noch nie zuvor in meinem Leben gehört hatte. Ich wusste ja gar nicht, dass es so laut überhaupt noch geht.

Das verstörte Gesicht

Ponytail holte mich dann wieder auf den Boden der Realität zurück, oder vielleicht war ich da auch schon in einer anderen Galaxy. Auf jeden Fall war das nervöse Herumgekreische von Sängerin Molly Siegel nicht mit meinem Zustand zu vereinbaren. Ich würd es sogar mit „Schrecklich“ bezeichnen.
Drum begab ich mich auf einen Sprung zu Aphex Twin, der einsam und allein auf der Bühne vor sich her schraubte, und sein Set verhältnismäßig chillig begann. Bis ganz zum Schluss konnte ich diesen aber auch nicht verkraften, wanderte daher noch kurz hinüber zu Wavves, welche noch mal eine Soundexplosion auf der Pitchfork Bühne ablieferten, um dann mit dem Nachtbus in mein Bett zu gondeln. Der Einstieg war aber vielversprechend und auf jeden Fall gelungen.

Die Gesichter und mehr gibt´s hier:

PRIMAVERAPIX

1 Kommentar:

  1. hola guapo!
    gratulation zu diesem eintrag... sehr schoen... beruehrend und echt!
    gracias por compartir...

    marisa

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