Freitag, 21. August 2009

Junior Boys - 14.8.2009 - Sala LO*LI*TA/Barcelona


Imaginäre Zuckerwatte, ein Wachstumsschub und sonstige Einsichten

Ob ich was von den Junior Boys in meinem Wurlitzer hätte, hat mich Freund © vor einigen Monaten mal gefragt. Ich hab das bejaht, weil ich wusste, dass es da einen Ordner gibt, der diesen Namen trägt. All zu oft hatten Songs aus diesem aber noch nicht die Membrane meiner Boxen zum Schwingen gebracht. Außerdem dürfte sich mal ein Remix der Boys (ich glaube „Jackie“ von Sally Shapiro) in meine Vinylkiste geschmuggelt haben. Die Nadel hatte diese Platte aber ebenfalls noch nicht oft zu spüren bekommen. Das alles sollte sich aber ändern – wenn auch nicht gleich.
Jeder kennt das Gefühl, wenn man Orte für alle Ewigkeit mit gewisser Musik verbindet, man sich immer ein bisschen genau dorthin gebeamt fühlt. Sei es, wenn man sich diese zu Hause auflegt, sie aus irgendeinem Lautsprecher der urbanen Welt da draußen dröhnt, oder uns mittels Radiofrequenzen zugespielt wird. Die Junior Boys sind verantwortlich für viele solcher Momente – nur dass ich noch dort herumirre, wo ich sie für mich auch so richtig entdeckt habe, wo sie an Wichtigkeit gewonnen haben.
Und wenn es Zufälle geben würde, dann wäre folgende Geschichte ein Paradebeispiel. Dass nämlich gerade in einer Phase in der mich die beiden Kanadier seit Wochen wieder einmal Tag ein, Tag aus auf meinen Wegen begleiten, und ansonsten generelle Konzertflaute in der Stadt herrscht, sie plötzlich in wahrer Gestalt Vorort sind, das hab ich mit einem scheinbar bis Andorra hörbarem Jubelschrei quittiert.
In Wien wartete man, wie ich spät aber doch erfahren hatte, vergeblich auf das kanadische Duo.

Melody A.M.

Es ist Punkt Drei als sich zwei unscheinbare Männer am Roten Absperrband im Sala LO*LI*TA, irgendwo in einer riesigen alten Fabrikshalle im Viertel Poblenou, einfinden. Ein Dritter kauert mit verschränkten Händen etwas dahinter. Die Bar, ein etwas größer geratenes Arenabeisl auf schick getrimmt, ist mäßig gefüllt. Es herrscht noch ein Kommen und Gehen. Hat man nämlich einmal Eintritt gezahlt, so kann man sich aussuchen, auf welchem der fünf Floors man sich den Tinitus holt. Der Dj überzeugt mich schon mal mit heftigsten Röyksopp Remixen und einer ausgesprochen ansteckenden Art Electro aufzulegen. (Snr.Bianco, du wärst ausgezuckt…und ich war plötzlich wieder in der Geusaugasse – an einem dieser Sonntagmorgen bevor alles begann)
Ich muss ehrlich gestehen, ich habe nicht gewusst wie die Junior Boys aussehen, aufgrund ihrer Musik aber ein vorgefertigtes Bild in meinem Kopf gehabt. Ein, wie ich jetzt weiß, komplett falsches. Immer das Selbe mit der Stereotypensache. Aber ich liebe diese Momente. Noch dazu hatte ich außer den Plattenkritiken zum aktuellen Album noch nicht viele Zeilen über deren Werdegang verschlungen. Keine Ahnung warum und ich hätte das im Vorfeld des Konzerts sicherlich geändert. Da aber seit gefühlsmäßig ewigen Zeiten der Nachbar ausgeflogen ist- und mit ihm sein Internet-hab ich mein Vorhaben nicht umgesetzt. Und in Locutorios mit arabischen Klängen kann ich dann doch nicht länger als drei, vier schnelle Augenblicke bleiben. Im Nachhinein bereue ich das natürlich massivst.

Work it baby, work it

Auf der Bühne waren neben den unzähligen Synthesizern und andern Maschinchen auch ein Schlagzeug und eine Gitarre platziert, was mich in einen ausgesprochen aufgekratzten Zustand versetzte. Ehrlich, ich konnte es nicht mehr erwarten. Nach ein paar Vorabfotos und einem Smalltalk mit Jeremy Greenspan und Matthew Didemus wurde es ernst. Die Schlussklänge von „Röyksopp´s Night out“ eröffneten dann eine unglaublich sentimentale Elektropop Nacht.
Der Drummer (sorry, Name vergessen, aber bezeichnen wir ihn als F0st3r), schon schwer eingetaucht in die Welt des heiligen Klicks auf seinen Headphones, kickte den Grundbeat, während Matthew die ersten Sampler startete. Dann noch der Einsatz von Jeremy an Gitarre und Mikro und schon schlich sich der Track „Work“ scheinbar aus einer ferneren Galaxie kommend an, bis er schließlich mit seinem seicht dahin stampfenden technoiden Beat und der fast gehauchten Gesangbeilage direkt in meinem Herzen einschlug. Mit einer Intensität, die mich echt perplex erscheinen ließ. Mein vorgefertigtes Bild dieses Duos wurde einfach ausradiert und durch etwas ersetzt, das ich anfangs nicht fassen konnte. Ich hatte niemals daran gedacht, dass mich ein Liveset in dieser Art und Weise erwarten würde, und schon gar nicht, dass ich mich in die Stimme einer Person verliebt hatte, die sich da in Form von schätzungsweise 165 pummeligen Zentimeter vor mir aufbaute. Naja, wo die Liebe hinfällt.
Auch meine teilweise naive Einschätzung was das Erschaffen von elektronischer Musik anging brach wie ein Kartenhaus zusammen als ich Matt an seinen Spielzeugen herum werken sah. Einen Laptop suchte man hier diesmal jedenfalls vergeblich. Wunderbar.

First Time

Es kommt halt doch nicht alles von ungefähr. Und wie so oft muss man einfach auch das Glück haben zur richtigen Zeit am richtigen Ort zu sein. Jeremy Greenspan gehört sicherlich zu denjenigen, die in den Genuss dieses Moments gekommen sind. Und plötzlich befand sich das Projekt Junior Boys auf einem komplett anderen Level. Es war das Jahr 2001 als Greenspan eine Demo an seinen Freund, und ehemaligen Zimmerkollegen in England, Steve Goodman sendete. Heute kennt man diesen wahrscheinlich besser unter Kode9 oder als Betreiber des Labels Hyperdub, und zwar nicht nur südlich der Themse. Dieser postete die Demo inklusive einem Interview auf seiner Homepage (das Label Hyperdub existierte eigentlich noch nicht) und schon kam der Stein ins Rollen. Nach kurzem Besetzungswechsel erschien dann 2003 die erste EP, welche wiederum einen Remix vom Wiener Elektrokünstler Fennesz (aktuelles Album: Black Sea – besorgen!!) beinhaltete, und hohe Wellen in der Szene schlug. Einer Szene, der die zwei Jugendfreunde aus Hamilton mit ihrem so frisch klingenden, dahinpluckernden Elektropopsound ordentlich Farbe verleihen sollten.
2004 folgte eine weitere EP (unter anderem mit einem Remix ihres Freundes Manitoba/mittlerweile Caribou), ehe mit Last Exit das erste Album auf KIN-Records veröffentlicht wurde(im selben Jahr wechselte man aber noch zu Domino Records). Dieses, scheinbar immerwährende Gesamtkunstwerk, bediente sich noch etwas stärker am housigen oder technoiden Soundgerüst derer beiden Vergangenheit. Eher direkt und monoton wusste diese zu überzeugen. Die Stimme von Greenspan wickelte sich mit ihrer Sanftheit aber auch schon bei dieser Platte ums Langzeitgedächtnis. Und wenn man einmal "Teach Me How to Fight" so richtig zugelassen hat, dann ist sowieso nichts mehr wie es einmal war. Textlich agierte er jedoch noch nicht so sehr in Richtung klassisches Pop-Songwriting wie auf dem bombastischen Nachfolgerwerk So This is Goodbye oder eben auf dem aktuellen, etwas deeperen, ausgeklügelteren und anfangs vielleicht nicht ganz so tanzbar erscheinenden Begone Dull Care.

Crooning around

Spätestens nach einem Live Erlebnis sollten diesbezüglich aber alle Zweifler eines Besseren belehrt sein und der Platte auch abseits diverser Polster- und Matratzenlandschaften ein Plätzchen einräumen. Noch dazu kriegt man nach deren Konzert nur schwer die gekonnten Crooner-Qualitäten des Jeremy Greenspan aus dem Kopf. Die Art und Weise wie er mit nur wenigen Schritten durch die Songs tänzelt, immer mit geschlossenen Augen, getragen von vollgepackten verträumten Flächen elektronischer Spielerein, das Mikro in Frank Sinatra Manier gebrauchend und den für diese Stadt so passenden Gaytouch, das machte es einem ziemlich leicht, sich in die Beeps & Boops noch ein Stückchen tiefer hineinzuträumen.
Die Songs klangen voller, modifizierter, was mitunter natürlich am Drummer lag. Dieser tobte sich in minutenlang monoton gespielten Fills aus, immer punktgenau und die Becken so präzise gesetzt, dass man gar nicht glaube wollte, das da jemand im dunkeln der Bühne sitzt und sich mittels Metronom durch den herannahenden Morgen drischt. Alles fügte sich butterweich ineinander. Die Junior Boys haben es wirklich perfekt geschafft, ihre Songs bühnentauglich zu trimmen, sind ein beachtliches Stück erwachsener geworden.
Und wenn man bedenkt wie aufwändig sich der Entstehungsprozess, Matt lebt mittlerweile in Berlin während sich Jeremy in seinem Homestudio in Hamilton/Kanada austobt, gestaltet haben muss, so ist es noch viel bewundernswerter, dass dieses Livekonzept in dieser Art und Weise auch beim aktuellen Longplayer aufgeht.
Auf wildes herumschicken von Songfragmenten verzichteten die zwei nämlich gänzlich. Es sollte nicht eine dieser Platten werden, welche fast ausschließlich auf dem Datenhighway zwischen zwei Kontinenten entstehen. Jeder arbeitete an seinen Konzepten und man flog mit diesen Ideen im Gepäck mehrmals über den Teich um sie in gemeinsamer Kleinstarbeit gemeinsam, im selben Raum befindlich, zu einem Ganzen zusammenzufügen. Der Laptop als Beatlieferant schaute dabei allerdings durch die Tasten. Genau darauf beruht aber die Wärme, die dieses Album mit sich bringt. Man spürt die Ruhe und die Passion, die Freude des miteinander Musizierens und Herumtüftelns. Das Resultat ist für mich ein bis ins letzte Detail durchdachtes musikalisches Zeitdokument, das mit jedem Durchlauf ein bisschen voluminöser wird. Fast wie beim wunderbaren Entstehungsprozess von Zuckerwatte. Jede Runde ein bisschen mehr ums Grundgerüst. Und plötzlich hält man eine aufgespießte Zuckerwolke vor seinem Gesicht und will sie um nichts in der Welt zerstören.
Bei Begone Dull Care braucht man diese Angst nicht haben, viel mehr sollte man mit einem Lächeln eintauchen. Denn wie uns schon der Titel der Platte schon sagt, ist einfach kein Platz um seine Mundwinkel nach unten zu ziehen. Und da sprechen die acht Songs sowieso für sich. Traumland olé.

Elektroschweiß

Der Sala LO*LI*TA stand mittlerweile Kopf, und die Leute nahezu übereinander. Kein Wunder, las sich die Setlist doch (fast) wie die Crème de la Crème ihrer Discographie. Trotz des Handwerks, das sie wirklich zu beherrschen scheinen, verzichteten sie darauf, Brücken zwischen den einzelnen Songs zu schlagen. Eine Sache, die ich insgeheim erwartet hatte. Es war wirklich mehr Konzert als man glauben wollte. Nach jeder Nummer wurde brav eine Verschnaufpause eingelegt, gegebenenfalls Gitarre gestimmt oder eben probiert, die scheinbar von überall herbei schießenden Schweißtropfen zu bekämpfen. Zu tun gab es ja genug auf der Bühne. Diesbezüglich ist mir ein Satz über den Weg gelaufen, der das treffender nicht formulieren könnte. – „Die Junior Boys bringen so ziemlich alles zum Klingen, was im Elektronischen gerade angesagt ist“

Zelluloid

Den Titel des neuen Albums, Begone Dull Care, haben sie sich vom gleichnamige Kurzfilm Norman Mc Larens geliehen. Dieser zeichnete, beeinflusst von den Klängen Oscar Pettersons, direkt auf das Zelluloid eines Films, und erschuf somit ein kunterbunt herumtänzelndes Treiben auf der Leinwand. Ein schier zeitloser „Musik –Kurzfilm“. Das dieser nur mit akribischer Genauigkeit und Ausdauer zustande gekommen sein kann, dass war für mich nach der ersten Sichtung einleuchtend. Die Junior Boys sehen zwischen diesem Kurzfilm aus dem Jahre 1949 und ihrer Herangehensweise Musik zu erschaffen jedenfalls Parallelen. Zufälligerweise wird genau dieser in wenigen Tagen im Zuge des Cine al Fresco im CCCB gestreamt. Aber wie gesagt, Zufälle gibt es ja nicht.

Banda Sonora

Was es allerdings gibt: Den Morgen nach der Nacht, und genau dieser reichte mir die Hand, als ich noch etwas benommen auf die Carrer Almogàvers hinaus stolperte. Nach einer etwas riskanten Heimfahrt mit dem Fahrrad und immer noch „Count Souvenirs“ im Ohr begrüßte mich dann ein Frühstück und das Wissen, dass die Junior Boys gerade mit goldener Füllfeder eine Widmung in mein fiktives Konzerttagebuch geschrieben hatten.
„Sei nicht traurig, der Sommer dauert ja noch an - und wir sind weiterhin dein Soundtrack“
Was für ein wunderbarer Film!

Übrigens: Da ich mich gerade im Ehestreit mit meiner LOMO befinde, wurden nur zwei der schätzungsweise 20 geschossenen Fotos ins Zelluloid des Films gebrannt......aber die Zeichen stehen mittlerweile wieder in Richtung Friedenspfeife!

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