Freitag, 11. Juni 2010

Walter Schreifels und die Sachen mit der Szene


Frühlingsszenarien

Während in anderen Ländern Europas der Frühling schon Vergangenheit ist, oder am anderen Ende der Welt in einem der sieben Laubmeere gebadet wird die der mittlerweile ausklingende Herbst dort erschaffen hat, steht mir hier zu Lande das Wasser bis zum Adamsapfel. Nix wie es sein sollte. Das Wetter größtenteils beschissen, die Aufbruchsstimmung vergangener Tage wäre fast gemeinsam mit den kaiserlichen Gemüsestangerln im Dreck ersoffen, alle meckern herum (inklusive mir), sind gereizt, gestresst und hätte vor kurzem meine lange Unterhose rebelliert, es wäre mittlerweile ein Holzkreuz irgendwo am Areal der Wiener Arena eingeschlagen – „Verzaubert von der unpackbar thighten Leah Shapiro, erfroren in den kalten Hände von Sophie“ würde darauf prangern.
(Das nach eim paar Tagen Sonnenschein nun endlich der Sommer angekommen sein soll, dass kann ich noch gar nicht ganz glauben…)

Nebenbei fühlt sich der temporär eingerissene Arbeitsalltag schneller als erwartet alles andere als gut an, und die Goldbarren, welche die Morgenstund´ einem ja angeblich in den Mund legen sollte, die ruhen offensichtlich weiterhin in der Anekdotenkiste. Dafür kann ich endlich die Unzähligen Scheine die mir so aus dem Hosensack fallen in den Plattenladen tragen, und das ist überhaupt das Beste an so einem saisonalen Job. Tja, zu hedonistisch wird das jetzt aber trotzdem nicht enden.
Die Striche am Kalender werden aber mehr, die Tage weniger und die Vorfreude beiderseits größer.

Der Jungbrunnen

Während man sich also auf der falschen Kalenderseite glaubt, sprudelt wenigstens die niemals versiegende Quelle Musik munter weiter vor sich hin, und spült zum richtigen Zeitpunkt kostbares Gut an die Oberfläche, welches man gerne auch Kübelweise nach Hause schleppt um sich darin zu suhlen, und nicht etwa mit irgendwelchen Barrieren davon abhalten muss wo hin zu gelangen (BP schlachtet sogar DAS noch aus, und segelt seelenruhig unter der Transparenz-Flagge)
Walter Schreifels, Wegbereiter im (Großstadt)Dschungel der Musikgenres, Schlüsselwächter über zirka eine Million verschiedenster Türen, umtriebiger Arbeiter und Weltenbummler, beglückt uns mit seinem lang ersehnten Soloalbum. Passenderweise hat er es, mit einer Mischung aus Hudson River-und Spree-Wasser, An Open Letter To The Scene getauft, und damit jede Menge Platz für Interpretationen geschaffen.
Noch dazu will ihm keiner so richtig abnehmen, dass er erstens mittlerweile 40 Lenze am Buckel hat und zweitens, die Akustikgitarre nicht mehr aus der Hand geben will. Zweiteres stimmt natürlich nur bedingt, lauert doch, nach neunjähriger Pause, endlich, ENDLICH! ein neues Rival Schools Album irgendwo in einem Brownstoner in Williamsburg herum. Und muss dort trotzdem noch bis in den Herbst hinein verharren (wahrscheinlich neben der fix fertigen Moondog Ep, auf die die Welt ebenfalls noch in Form von Plastik wartet).
Bei Releases handelt es sich im Hause Schreifels jedenfalls um offizielle Anlässe, und solche gehören natürlich auch angemessen abgefeiert, am besten mit einer Tour.

Familystyle

Nach zuletzt jahrelangem Herumtingeln mit der Akustikgitarre, das ihn ins Vorstadt in Ottakring genauso führte wie ins Aschewolken-Debakel am Moskauer Flughafen, und einer zwei Jährigen Residenz in Berlin, die schlussendlich im Titel „Dad“ endete, verließ er die Bundeshauptstadt 2009 wieder in Richtung dorthin, wo er Ende der Achtziger Jahre mit der Öffnung des Gorillakäfigs Geschichte weitergeführt bzw. geschrieben hatte. NYC/Brooklyn nämlich.
Und auch anno 2010 kann der Mitbesitzer von Some Records wie eh und je aus einem Repertoire von Musikern schöpfen, das ihm die Möglichkeit bietet sowohl in Asien, Europa oder eben in Amerika auf eine Band zurückgreifen zu können, welche ihm den Liverücken stärkt.
Für die momentane Europatour scharrt er eine, man kann sie ohne Weiteres so bezeichnen, Szene-Allstar-Band um sich.
Akteure, die über die Jahre konsequent ihre Fingerabdrücke in den verschiedensten Ritzen der (musikalischen) Gesellschaftsunterhaltung und der Vertretung von Ideologien hinterlassen haben, finden sich darin wieder. Darunter Wegbegleiter und „best friend“ Arthur Smilios, seines Zeichens Bassist in Gorilla Biscuits bzw. CIV oder eben Drew Thomas, an den Kesseln. Dieser hielt auch schon bei Walking Concert, Walters letztem Bandprojekt, die Taktmaschinerie am Laufen (und davor unter anderem in Bold)
An den Gibson´s tobt sich Dave Hill aus. Ein absolut spaßiger Tausendsassa mit Rampensau-Qualitäten, der offensichtlich alles kann und auch macht (und obwohl es fürs weiterlesen eher kontraproduktiv sein könnte – wühlt euch durch seine Seite, lest seinen (Tour)Blog ,….aber nehmt euch heute nichts mehr vor!!!).
Keyboarder John Herguth war mir bis dato nicht bekannt, fungierte aber in einer Doppelrolle und lieferte gemeinsam mit Garret Klahn (vormals Texas is the Reason) unter dem Namen Atlantic/Pacific einen melancholischen, in Europa allerdings auf ein Duo geschrumpften, Supportact ab, der sich irgendwo zwischen Mac, Synth und Akustikgitarren mit Doppelgesang einnistete. (ganz wunderbar: „Meet Your New Love“)

Society Suckers

Die Szene Wien präsentierte sich mit maximal 50 Interessierten erschreckend leer, allzu große Verwunderung löste das bei mir aber nicht mehr aus. Wir sind halt immer noch im proletarischen Wien, wo gerade andere Szenen boomen. Gut, in manch anderen Städten/Ländern mag es so ein Phänomen auch geben, oder halt überhaupt nicht. Allerdings ist dort der "Rest" mindestens genauso selbstverständlich präsent, und das fühlt sich dann unterm Strich halt einfach gut an.
Massive Bedenken bezüglich der hier zu Lande herrschenden Zustände was die Musikkultur betrifft sind also genehmigt. Da hilft auch ein Popfest nichts, schon gar nicht wenn man es schafft den (seit langer Zeit)miserabelsten Sound hinzubekommen. Irgendwie will´s in Wien meiner Ansicht nach nicht wirklich funken. Ich muss mir bezüglich meiner Raunzerein Einiges anhören, aber es ist nun mal so – woanders zünden solche Sachen, in Wien bedarf es aber z.B. einem (unglaublich desorganisierten und faden) Donaukanaltreiben um wenigstens für einen Tag ein „möchte gern“ Gemeinschaftsgefühl zu erzeugen. In einer Stadt die alles hat, und viel zu wenig daraus macht.

Walter sings along

Den Musiker Schreifels zu beschreiben ist alles andere als leicht. Darum macht er es auf An Open Letter To The Scene auch gleich selbst. Es ist ein sehr intimes Album geworden (bemerkenswert: der dem verstorbenen Warzone Sänger Ray „Raybeez“ Barbieri gewidmete Song „Open Letter“). Seine Stimme mag gewöhnungsdürftig sein, ebenso seine Harmonien. Das kennt man von Quicksand genauso wie von Rival Schools. Bei seinem Soloprojekt bekommt das Ganze aber auch noch die Mellow-Falte reingebügelt. Und die sitzt, auch auf der Bühne (auch wenn es da schon ein bisschen zügiger und lauter zugeht). Unglaublich, welche Bücher dieser Mann füllen könnte, und auch tut. Es wird einem wieder bewusst, was Musik alles beinhaltet, was es einem gibt, warum es Menschen gibt, die so frei sind und ihre Erlebnisse vertonen, uns diese „nach Hause“ liefern. Laut eigener Aussage befindet er sich im permanenten Schreib- und Skizziermodus.

Jeden Song einzeln zu zerlegen und die Welt hinein zu interpretieren das werde ich, wie so oft, wieder jedem ans Herz legen. Das mit dem Vorpraktizieren lasse ich diesmal aber aus.
Nur so viel: Wer Agnostic Front´s "Society Suckers" (vom Album Victim in Pain), einen so stilvollen Anzug schneidert, der muss nicht nur (mittlerweile) Urgestein sein, sondern vor allem auch eines - Liebhaber.
Auch eine zweite Coverversion hat sich aufs Album geschummelt (abgesehen von CIV´s "Don´t Gotta Prove It", das, so wie das ganze Projekt CIV, ebenfalls aus Walters Feder stammt). Allerdings hat man nur auf der (in verschiedenen Farben und Auflagen erhältlichen) Vinyl LP die Möglichkeit, mit „When You Sleep“ von den wunderbaren My Bloody Valentine die letzte Runde anzukratzen.

Und genau so ehrlich wie diese Platte ausrennt, so begegnet einem Walter auch als Mensch. Inklusive persönlicher Anrede und einem Lächeln. Schön, wenn man über Jahre gewachsene Wertschätzung zurückbekommt.

Walter speaks the words

Den Uniformierten Feinden aus Bayern, und deren Affinität Kleinbusse, die auch nur im Geringsten nach tourenden Musikern ausschauen auseinander zu nehmen, ist es wieder einmal zu verdanken, dass genau diese mit erheblicher Verspätung in Wien eintrafen. Gemütliches Soundchecken und stressfreies Interview waren daher gestorben. Das Konzert war natürlich trotzdem ein Feuerwerk, das so ziemlich alle Walter´schen Projekte beinhaltete. Auch das wunderbare „Summertime“ (im Original von George Gershwin) gab´s als Zugabe, und ein Leuchten in den Augen.

Trotz dem schon ewig andauernden Tag und der Unmenge an unnötiger Strapazen, war Walter so frei, und beantwortete mir nach dem Konzert, also um schätzungsweise 1 Uhr morgens, todmüde und hungrig, die eine oder andere Frage. Lassen wir also den Abend mit ein paar klugen Sätzen Revue passieren, und nehmen An Open Letter To The Scene in die Sommerplaylist auf. Also wenn dieser dann endgültig bleiben sollte.

Walter introducing Walter:

20100520 - who is walter schreifels by thez zellerluoid

Walter the foreigner:

20100520 - walter new - discovering a new scene by thez zellerluoid

About the differences between Berlin & New York City:

20100520 - differences berlin and new york by thez zellerluoid

About the topic of right wing scenes in Europe vs. USA:

20100520 - right wing scenes view by thez zellerluoid

About "An Open Letter To The Scene":

20100520 - about the album and scenes by thez zellerluoid

About the secret of the cover artwork:

20100520 - about the cover by thez zellerluoid

About upcoming projects:

20100520 - about a new album by thez zellerluoid

Why "Summertime" isn`t on the album and the best sweets ever:

20100520 - about summertime and sweets by thez zellerluoid

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