Dienstag, 3. November 2009

Andres Godoy - Cafe/Kulturverein Neruda Wien


Der Botschafter der inneren Schönheit. Denn alles beginnt im Kopf.

Wahrlich ehrlich

„Sagt der Zeigefinger eines Tages ganz plötzlich zum Mittelfinger: Warum machen wir nicht gemeinsame Sache mit dem Ring- und dem kleinen Finger? Sie könnten uns ordentlich behilflich sein, würden neue Töne erschaffen, die Umsetzung von anfallenden Ideen ermöglichen. Wir bräuchten nicht länger nutzlos herumhängen und Trübsal blasen. Es ist so wie es ist, machen wir das Beste daraus.“
Gesagt getan, und der Daumen wurde auch noch gleich angeheuert.

Klingt vielleicht alles wie der Beginn einer der schlechtesten Witze überhaupt. In Wahrheit ist es die, von einem dem Herzen entsprungenem Lächeln begleitete, Geschichte über einen Neubeginn. Jahrelanges hartes Training, eine Ausgangssituation die sich unsereiner nur ganz schwer vorstellen kann, eine entwickelte Spieltechnik namens Taptap* und eine riesen Portion Liebe später, verzaubert uns diese linke Hand, versetzt sie uns in einen Zustand des Staunens. Von Chile über Los Angeles und New York bis in die Wiener Margaretenstraße.
Die Rede ist vom chilenischen Ausnahmegitarristen Andres Godoy und mit den einleitenden Worten probierte er uns die Situation zu beschreiben in der er sich nach einem Unfall, bei welchem er seine komplette rechte Hand verloren hatte, befand. Er war gerade einmal vierzehn Jahre alt und ein, laut eigener Aussage, weitaus besserer Gitarrist als heute. Schwer vorstellbar, trotz des Handicaps nur eine Gliedmaße benutzen zu können. Doch hat man Andres Godoy einmal kennengelernt, so versteht man plötzlich Einiges, fallen einem die teilweise bleiernen Schuppen, welche unserer Augen und somit unsere Sicht auf die profunden Dinge viel zu oft versperren, wie Blätter von den herbstlichen Bäumen im Stadtpark ab. Andres hat für sich erkannt, dass eine Hand immer noch ein riesen Geschenk sein kann, und transportiert diese Weisheit nicht nur mit seinem Gitarrenspiel, sondern auch als 100% Mensch.
So skurril es auch klingen mag, dieser Mann ist wahrlich ein Botschafter des Lichts.

Proxima Parada: Alemánia/Achen

In Chile schon längst ein „Star“, eine Institution im Bereich der Musikszene, sei es als Produzent, als Vizepräsident, als Direktor einer Rockschule, als Mitwirkender bei diversen kulturellen Aktivitäten oder eben als Musiker mit diversen Bands, übersiedelte er im April 2009 nach Deutschland. Ein Visum ermöglichte ihm einen sechsmonatigen Aufenthalt, den er durchgehend dazu benutzte um zu touren. Solo, mit seiner Gitarre.
Und auch wenn es immer mehr den Anschein hat, dass es schon alles geben möge im immer größer werdenden Europa, so ist auf dem Sektor südamerikanischer MusikerInnen schon noch jede Menge Platz nach oben. Ich hatte mir auch nie gedacht jemals mit einem interessiertem Auge auf diese Szenerie zu schielen, wenn man dann aber die Sprache vermisst die einem monatelang begleitete, dann sucht man sich auch in der alten neuen Heimat Plätze, an denen man Deutsch nicht zwingend braucht. Und dank mitgebrachter Connection und einem bisschen Glück gibt es plötzlich auch in Wien erste Plätze, an denen man sich in einer spanisch sprechenden Community bewegen kann.
Das dann auch gleich ein jahrelang in Chile als Veranstalter diverser Musikalischer Aktivitäten tätig Gewesener unter den vielen neuen Leuten ist, das trifft sich natürlich besonders gut.
Genau dieser fungierte auch als Organisator dieses Events.

Neruda

Einen Steinwurf neben dem guten alten Schikaneder gelegen und sicherlich schon zig Male von mir gestreift, befindet sich das Neruda, eine Bar bzw. ein Kulturverein, der wöchentlich mit einem kleinen Programm zu verzücken weiß.
Das Andres Godoy dort einmal auftreten würde, das hat er selbst mit einem schienbar nicht wahrhaben wollenden Gesichtsausdruck dargelegt. Er meinte sogar, dass sich seine Freunde in Chile gar nicht vorstellen könnten, das er mit der Gitarre ganz Europa betoure – vor Publikum. Aber genau das ist eines der Phänomene. Ich bin ja nicht gerade derjenige, der seit Jahren auf der Suche nach spanisch sprechendem Austausch ist, geschweige denn stundenlang spanische Liedtexte erträgt. Meiner Wahrnehmung zufolge dürfte Wien diesbezüglich aber gerade einen sogenannten „Schub“ verzeichnen, sich in diese Richtung öffnen. Vielleicht ist es mir früher einfach nicht aufgefallen, so wie vieles.
Genau dort knüpft auch die Idee eines neugewonnene Kontaktes an, nämlich die sehr wohl vorhandene und auch interessante Musiklandschaft Südamerikas, sei es eher traditionelle Musik im Stile der (Süd)Americana Bewegung oder doch eher Rock/Pop-lastigeres Material.

sin espacio escénico pero convincente

Bühne gab´s natürlich keine, ein kleiner Verstärker und eine Tasche voll Geschichten reichten aus. Das Publikum, bei weitem nicht nur spanisch sprechend, was auch auf das scheinbar vorhandene Interesse diesbezüglicher Kunst verwies. Das Konzert, ein Augen- und Ohrenschmaus. Der Protagonist, ein wie vom Ojos del Salado herab strahlender Sonnengott.
Wirklich beeindruckend und nicht das ich skeptisch gewesen wäre, aber wenn ich plötzlich jemanden mit nur einer Hand Gitarrenläufe spielen sehe wie wenn er über Vier verfügen würde, von Rock bis hin zu Salsa und Tango alles gebracht wird, dann fehlen mir doch ein bisschen die Worte, auch wenn das sonst gar nicht so meine Musik ist. Gesungen wurde auch noch, zweisprachig.

Resümee

Ein in mehrheitlicher Hinsicht Eindruck hinterlassender Abend war das. Wahrlich ehrlich eben. Schön, dass man sich mehr als zuvor auf seine Gefühle verlassen kann.
Auch für Andres Godoy war es ein gelungener Einstieg in eine Stadt, die es jetzt auch für mich wieder einmal neu zu entdecken gibt. Aber genau so funktioniert das gerade, und wenn dem nicht so ist, dann muss man es Andres gleich machen, nämlich seine Sachen packen und sich in ein Abenteuer stürzen. Gut zu wissen, dass auch das immer wieder funktionieren wird.

*Taptap – ist eine Spielweise der Gitarre die sich aus den schon existierenden Stilen hammering, tapping und der Vortragsweise legato zusammensetzt.

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